Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
kümmern.«
»Was ist denn in dich gefahren?«, rief er ehrlich verblüfft. »Hast du neuerdings kein Herz mehr? Ist vielleicht Gretlin schuld daran, dass ihr die Schlächter des Papstes die Eltern abgestochen haben?«
»Ich bin auch nicht schuld daran. Ich habe niemanden abgestochen. In meinem ganzen Leben nicht.«
Er erkannte sie nicht wieder. Als er sie im Licht der Kerze betrachtete, erschien sie ihm regelrecht hässlich – nicht mehr wie das liebenswerte Bündel Leben, sondern wie eine verbitterte alte Jungfer, die anderen jegliche Freude missgönnte. Ein Wort ergab das andere, und am Ende warf er ihr an den Kopf, sie sei von Neid zerfressen und würde jeden Mann in die Flucht schlagen. »Und weil du keinen mehr findest, der dich lieb hat, kannst du’s nicht ertragen, dass Gretlin und ich einander lieb haben!«, rief er, stieß seinen Becher zu Boden und stürmte aus dem Haus.
Kaum stand er auf der dunklen Straße, fiel das Entsetzen über ihn her: Was hatte er getan? Wie hatte er Magda so verletzen können, ausgerechnet er, der doch schuld daran war, dass sie ihren geliebten Endres nicht mehr hatte? Er hatte zu Gretlin gehen wollen, er hatte Caspar versprochen, die Miete zu bezahlen, doch stattdessen ging er zu Hans. Bei irgendwem musste er sich seine Last von der Seele reden, und außerdem brauchte er dringend ein Getränk.
Natürlich blieb das Pech ihm an diesem Abend treu: Auch Hans hatte keinen Pfennig im Beutel und konnte ihm mit der Miete nicht aushelfen. Zumindest gelang es ihnen, dem Bader einen Schlauch Wein zu stibitzen, den sie in der Wäschekammer leerten. Er war sauer wie Katzenpisse und erst nach dem dritten Becher genießbar, aber er tat seine Wirkung. Diether begann zu erzählen, und Hans hörte ihm geduldig zu. Natürlich konnte er dem Freund nicht den wahren Grund des Streits nennen. Stattdessen behauptete er, Magda wolle ihm verbieten, Gretlin, ein mittelloses Flüchtlingsmädchen, zur Frau zu nehmen.
»Gütiger Herr des Himmels«, bemerkte Hans. »Einen Kerl wie dich, den gibt’s wahrhaftig nur einmal unter tausend. Dass du die Gretlin nimmst, einerlei, was sie mit sich herumträgt, das ist ein verflucht feiner Zug, und deine Familie sollte stolz auf dich sein.«
Auf diese Weise hatte Diether es noch nie betrachtet. Es tat ihm wohl, es war genau das, was er brauchte. In seinem Drang, sich endlich einmal das Herz zu erleichtern, vertraute er Hans auch an, was seine Schwester so herzlos und zänkisch gemacht hatte: Endres. Die Geschichte, deren Last er allein getragen hatte und an der er um ein Haar zerbrochen wäre. Einen Teil – den, den kein Mensch je erfahren durfte – ließ er aus, doch den Rest erzählte er in allen Einzelheiten.
»Ich bin schuld«, sagte er am Ende. »Ohne mich hätte Magda noch immer ihren braven Burschen an der Seite, der ihr nie ein Leid zugefügt hätte. Und ausgerechnet ich, der ihr diesen Wunderknaben geraubt hat, werfe ihr jetzt an den Kopf, dass sie keinen mehr bekommt. Wie habe ich das nur tun können? Ich habe sie doch lieb, mein Schwesterchen. Nach meiner Gretlin habe ich keinen Menschen auf der Welt so lieb. Aber du kommst an Stelle drei, mein Hans. Ganz gewiss kommst du an Stelle drei.«
Hans, auf seinen unergründlichen Wegen, besorgte noch ein wenig Wein, obwohl keiner von ihnen mehr gerade gehen konnte. »Jetzt reiß dir nicht den Kopf ab«, sagte er. »Morgen gehst du zu deiner Schwester und erklärst ihr, was mit dir los war: Du hättest die Gewalt über dich verloren, weil es um deine Gretlin ging und weil ein Mann doch für sein Mädchen einstehen muss.«
»Schön bin ich für sie eingestanden!«, bemerkte Diether höhnisch. »Dem Caspar habe ich die Miete nicht gezahlt.«
»Deshalb setzt der Caspar nicht gleich zwei Logiergäste auf die Straße, die ihm seit Monaten gutes Geld bringen«, beruhigte ihn Hans. »Gehst du eben morgen und bezahlst.«
Ja, morgen, nach der Messe mit dem Propst, würde er gehen und bezahlen. Er würde sich das Geld von Petter borgen, als Vorschuss auf seinen ersten Lohn. »Und du glaubst wirklich, Magda versteht mich, wenn ich es ihr erkläre? Und sie verzeiht mir auch, dass ich schuld an der Sache mit Endres bin?«
»Das mit ihrem Bräutigam, das kannst du nicht mehr geradebiegen«, lallte Hans mit schwerer Zunge. »Du kannst ja die Zeit nicht umkehren oder einen Toten aus dem Grab erwecken. Aber hast du schon mal überlegt, ob sich unter unseren Freunden nicht einer für deine Schwester findet? Der
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