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Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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soll’s recht sein. Bring mir den fälligen Groschen eben nachher vorbei, aber vergiss es nicht. Ansonsten brauchst du deine zwei Hübschen gar nicht mehr abzuliefern, die haben dann nämlich kein Bett mehr hier.«
    Die Beklommenheit, die Diether verspürte, war schlimmer als der Kopfschmerz und das Ungeziefer im Mund. Weshalb hatte sich eigentlich alle Welt gegen ihn verschworen? Er konnte jetzt wirklich nur noch darauf hoffen, dass ihm heute der entscheidende Schlag gelang, der seine Probleme löste.
    In fliegender Eile trieb er Gretlin und Ursel aus der Kammer und machte sich mit ihnen auf den Weg. Die beiden Mädchen kamen kaum mit, so geschwind hastete er an der sonnenglitzernden Spree entlang. Es tat ihm weh, seine Liebste derart rücksichtslos mit sich zu zerren. Auch wenn Gretlin um die Leibesmitte zugelegt hatte, waren ihre Arme und Beine noch immer dürr wie Stöckchen.
    Kaum stürmte er mit den Mädchen durch die Große Straße, vernahm er den dröhnenden Glockenschlag, der die Bürger des Marienviertels zur Messe rief: Er kam zu spät. Der Tag, auf den er all seine Hoffnung gesetzt hatte, stand wahrhaftig unter einem schwarzen Stern.
    Der Neue Markt war von Menschen überfüllt. Die Wirtsleute der Schänken, die sich rund um das Marktgelände reihten, hatten ihre Türen geöffnet und Tische und Stühle auf die Straße gestellt. Einzelne Zecher waren sogar auf die Tische geklettert, um vom Geschehen rund um die Kirche nichts zu versäumen. Die Stände der Händler waren an diesem Markttag kaum auszumachen, so dicht drängten sich die Schaulustigen dazwischen. Diether spürte, wie ihm das Herz sank. Wie sollte er jemals diese Horden durchdringen, um zum Portal der Kirche zu gelangen? Dass er die zwei Mädchen am Rockzipfel hatte, machte das Unmögliche keineswegs leichter.
    Nichtsdestotrotz, er hatte keine Wahl. »Wir müssen da durch«, sagte er zu Ursel und Gretlin und nahm die beiden noch fester bei den Armen. »Bis nach vorn, zur Kirche, seht ihr?«
    Ursel folgte bereitwillig, obgleich sich vor ihnen nicht der schmalste Spalt zum Durchschlüpfen auftat. Gretlin aber weigerte sich. Sie blieb einfach stehen, stemmte die schwachen Beinchen in den Boden und schrie. Diether hätte sie gewaltsam vorwärtsschleifen müssen, um weiterzukommen.
    Seine Lage war verzweifelt – was immer er tat, er konnte nur verlieren. Gab er auf, so verspielte er die eine Gelegenheit, Petter und den anderen zu beweisen, was in ihm steckte. Er würde Caspar den Mietzins nicht zahlen können und keine Partnerschaft mit Petter beginnen, die ihm die Heirat mit seiner Gretlin ermöglichte. Zwang er Gretlin aber, sich mit ihm in die Menschenmenge zu stürzen, so versetzte er ihr womöglich einen Schrecken, von dem sie sich nie mehr erholte. Zu allem Unglück lief ihm die Zeit davon – mit jedem Augenblick, den er hier unschlüssig herumstand, schwand seine Hoffnung auf Erfolg.
    »Ursel«, rief er in seiner Not, »hör mir zu: Es ist lebenswichtig, dass ich in diese Kirche komme – verstehst du das?«
    Er hatte sich angewöhnt, mit der stummen Gretlin wie mit einem Kind zu sprechen, das die Bedeutung der Worte erst lernen musste. Bei Ursel hätte er sich das sparen können. Sie verzog das Gesicht. »Weshalb soll ich das denn nicht verstehen?«, meinte sie. »Laut genug redest du ja.«
    »Kannst du dann hier mit deiner Schwester stehen bleiben und auf mich warten? Du siehst, es wäre Quälerei, sie weiter vorwärtszutreiben, und allein komme ich leichter durch. Versprich mir also, dass du mit ihr auf diesem Flecken wartest, bis wir alle wieder beisammen sind.«
    »Wenn du meinst, dann mache ich’s so.«
    »Rührt euch aber nicht von der Stelle, einerlei was geschieht!«
    Er küsste die wimmernde Gretlin auf die Wangen und kam sich vor, als zöge er in den Krieg.
    Der Weg durch die schiebenden, stoßenden, tretenden Leiber, die sich weigerten, auch nur um ein Zoll freiwillig beiseitezurücken, war eine Heldentat für sich. Wie viel Püffe und Hiebe sein schmerzender Kopf abbekam, vermochte Diether nicht zu zählen, und unter anderen Umständen hätte er sicher aufgegeben. Da ihm jedoch keine Wahl blieb, bahnte er sich mit Fäusten und Ellbogen seinen Pfad.
    Als er etwa bis in die Mitte des Platzes vorgedrungen war, stolperte er über etwas, das am Boden lag, und wäre lang hingeschlagen, hätte es nicht an Raum dazu gefehlt. Im Weiterdrängen bückte er sich. Der Gegenstand war ein Gehstock, ein ordentlicher Knüppel mit dickem

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