Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
Seite des Heiligen Stuhles zu ergreifen, ist ein Ketzer, nicht besser als jener, und fällt der Hölle anheim!«
»Ludwig ist Markgraf dieses Landes!«, rief Diether zurück. Seine Stimme überschlug sich, und sein Schädel drohte zu platzen. »Wer sich gegen ihn stellt, der stellt sich gegen Brandenburg. Papst oder Brandenburg, so lautet hier und heute die Entscheidung!«
»Papst oder Brandenburg!« Sein Ruf pflanzte sich fort und ging rasch in einen ohrenbetäubenden Singsang über, mit dem die Leute ihre Entscheidung durch die Kirche brüllten: »Bran – den – burg, Bran – den – burg!«
Es war ein Schlachtruf.
Und es war eine Liebeserklärung.
Diese Leute waren nicht länger kuschende Untertanen in irgendeiner sandigen Grenzmark an den östlichsten Rändern des Reiches. Sie waren Brandenburger. Männer aus dem Land mit der Adlergestalt.
Propst Nikolaus schrie und wetterte weiter, aber Diether verstand nichts mehr. Er hatte es getan, er hatte vor allen Leuten seinen Mut bewiesen, und seine Worte hatten seine Mitbürger befeuert. Schritt um Schritt drangen die Scharen auf den Altar zu, schwangen die Fäuste in Richtung des Propstes und spien wüste Drohungen aus. Er, Diether Harzer, war der Urheber dieses Aufruhrs, ihm war der Sturm gerechten Zornes zu verdanken. Hatte aber jeder es mitbekommen, vor allem Petter, der ganz vorn vorm Altar stand? In seinem Winkel, weitab vom Herzen des Geschehens, kam Diether sich vor, als bliebe er von seiner eigenen Siegesfeier ausgeschlossen.
»Ihr Frevler, ihr Gottlosen!«, brüllte Propst Nikolaus. »Den Zehnt wie den Peterspfennig wird man von euch mit dem Schwert eintreiben!«
»Mörder!«, brüllte die Menge zurück.
»Schinder, Kriegstreiber!«
»Kein polnisches Heer in Brandenburg!«
»Bran – den – burg, Bran – den – burg!«
Diether sah, wie von der Tür des linken Seitenschiffes her drei Geistliche in den Altarraum hasteten. In einem von ihnen erkannte er Nikolaus’ Amtsbruder Hubertus, den Propst von Berlin. Eilig drängte er sich zu Propst Nikolaus durch und sprach erregt auf ihn ein. Mehrmals wies er dabei auf die Seitentür, vor der Diether eine Handvoll Bewaffneter erkannte. Männer der Stadtwache. Gewiss von der Geistlichkeit herbeigerufen, um den Propst vor den Prügeln der aufgebrachten Menge zu schützen. Wieder wies Hubertus nach der Tür, vor der die Wachen mit ihren Lanzen warteten. Offenbar hatte er vor, seinen Amtsbruder dorthinaus und durch Nebengassen geleiten zu lassen, bis er in Sicherheit war.
Ein kluger Plan. Propst Nikolaus aber warf sich geradezu empört in die Brust und schüttelte schnaufend den Kopf. Als sein Berliner Amtsbruder noch einmal heftig auf ihn einsprach, schob er ihn kurzerhand aus dem Weg. »Der Leib des Herrn, der für euch gestorben ist, wird heute nicht an euch ausgeteilt!«, rief er triumphierend in die Menschenmenge. »Damit ihr einen Vorgeschmack auf das bekommt, was Gotteslästerern wie euch bevorsteht – ein Dasein ohne Trost, ohne Gnade, eine Welt ohne Heil und ein Himmel der vollkommenen Leere – Leere – Leere!«
Dreimal brüllte er das Wort wie Diethers Großvater, wenn er eine Rede beendete. Propst Nikolaus aber beendete seine Rede mitnichten, sondern brüllte immer weiter. In das Geschrei drang das Geläut der Altarglocke, das für gewöhnlich die liturgischen Einsetzungsworte begleitete. Allem Anschein nach hatte der junge Messdiener nicht mitbekommen, dass der Propst den Berlinern die heilige Kommunion vorenthalten wollte.
Und welches Recht hatte er dazu? Gottes Sohn hatte doch wohl sein Blut für sie alle vergossen, nicht nur für gesalbte Herren in Soutane und Mitra!
»Her mit dem Leib Jesu!«, schrie Diether.
Neben ihm lachte ein älterer Mann mit Backenbart auf. »Ganz schön dreist, junger Freund. Bist so eine Art Raubein, den wilden Wäldern entwichen, ja?«
Der Sinn der Worte entzog sich Diether, doch ihm blieb keine Zeit, darüber nachzudenken. Im selben Augenblick nämlich schlug Propst Nikolaus ein letztes Mal das Angebot des Amtsbruders aus und schickte sich an, den Altarraum auf üblichem Wege zu verlassen. Tatsächlich wollte er diese Farce von einer Messe beenden, ohne den Menschen zumindest seinen Segen zu spenden. Für gewöhnlich gaben die Gläubigen in der Mitte einen Gang frei, sobald der Geistliche sich zum Auszug bereit machte. Für Propst Nikolaus jedoch wich kein einziger Mann auch nur um einen Schritt zurück. Im Gegenteil, die Berliner schienen sich auf die
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