Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
hingegen gärte an diesem Abend nichts mehr. Sie fror in den durchnässten Kleidern und wollte nur noch ins Bett, um sich die Decke über den Kopf zu ziehen. Noch immer wirkten die Straßen eigentümlich leergefegt, und daheim saß der Großvater allein. Er hatte gebraut, solange er sich auf den Beinen halten konnte, dann hatte er sich am erkalteten Feuer niedergesetzt und still vor sich hin gehustet.
Magda umarmte ihn. Sie hatte keinen Wentzel, der Großvater hatte keine Irmel mehr, und die Brüder taten, was immer ihnen in den Sinn kam, aber sie hatten einander. Hätte nur Alheyts Kind überlebt, fiel ihr auf einmal ein, hätten wir hier ein Kleines, das wir umsorgen und großziehen könnten, dann hätte das alles seinen Sinn.
»Pass auf, Großvater«, sagte sie, »ich pfeife jetzt darauf, dass August ist, und schüre uns ein schönes, hohes Feuer. Von der Brida habe ich eine Blutwurst mitgebracht, die wärme ich uns im Kraut, und hinterher bekommst du einen Wickel für die Brust. Dann kriechen wir in unsere Betten und schlafen diese hässliche Nacht einfach weg.«
Mit ebenso trüben wie glasigen Augen blickte er zu ihr auf. »Kälbchen, ich muss dir was sagen.«
»Etwas Schlimmes, Großvater?«
Der alte Mann krampfte die Hände umeinander. »Ich hab in meinem Kasten nach etwas gesucht, das ich mir um den Hals wickeln kann. Dabei hab ich ein Hemd gefunden, keines von meinen, aber unter meine Sachen gestopft.«
»Eins von den Brüdern?«, fragte Magda. »Das kann schon mal vorkommen, dass ich bei der Wäsche etwas falsch sortiere.«
»Ich weiß ja, du liebes Kälbchen, ich weiß.« Jetzt packte er ihre Hände und drückte sie, dass es ihr wehtat. »Aber das Hemd war vom Saum bis zum Hals beschmiert. Mit Blut. So wie damals, die zwei Male, als der Diether heimkam.«
Magda richtete sich auf und presste eine Hand auf ihr Herz. »Wo ist das Hemd? Ich will es sehen.«
»Das geht nicht. Ich … ich hab’s mit der Angst gekriegt, da hab ich nicht überlegt, sondern das Ding gepackt und da hineingestopft.« Ohne hinzuschauen, wies er auf das Feuer.
Erst jetzt sah Magda die großen Flocken von Asche, die darin herumwirbelten. Sie wollte nicht denken, um keinen Preis sich fragen, wie das Blut dieses dritte Mal an Diethers Hemd gekommen war und wo Diether jetzt steckte. Es musste doch auch harmlose Erklärungen geben! Vielleicht war der Bruder auf dem Fleischmarkt, bei den Schlachtern gewesen, vielleicht hatte er einem Verletzten geholfen, vielleicht hatte der Großvater übertrieben und es waren nur ein paar Spritzer, wie man sie beim Nasenbluten verlor.
Gleich darauf wurde sie von den quälenden Gedanken erlöst. Fäuste hämmerten an die Tür, als wollten sie sie zu Splittern zerschlagen. Dazu rief eine Stimme nach ihnen, dem Klang nach eine Frau oder eher noch ein Kind. Magda glaubte, aus dem Gewirr von Lauten ihren Namen zu erkennen, war sich aber nicht sicher. Fest stand nur, dass der Mensch, der dort draußen stand, außer sich vor Verzweiflung war. Kurz entschlossen lief sie zur Tür und riss sie auf.
Vor ihr stand ein Mädchen von vielleicht zwölf Jahren, dem das blonde Haar wirr ins Gesicht hing. Es war barfuß. Einen der Schuhe musste es verloren haben, den anderen hielt es in der Hand, um damit an die Tür zu klopfen. Sein Kittel aus grobem Leinen war über und über verdreckt. »Mak-da«, stieß es hervor, streckte den Zeigefinger aus und zeigte Magda auf die Brust.
»Ja, richtig. Ich bin Magda.« Sie packte den Arm des Mädchens, zog es ins Haus und schloss hinter ihm die Tür. »Setz dich hierher. Und dann erzähl, was dir zugestoßen ist.«
Heftig schüttelte das Mädchen den Kopf und blieb stehen. Die beiden Silben, die es sich abrang, waren nicht zu verstehen. Die Kehle schien aufgeraut, und es fiel ihm schwer, verständliche Worte zu formen.
»Versuch’s noch einmal«, forderte Magda es auf. »Was willst du mir sagen?«
»Di-ta!«, brach es aus dem Mädchen heraus, und dann rief es wie von Sinnen dreimal hintereinander: »Di-ta, Di-ta, Di-ta!« Damit schien der Damm gebrochen. »Du muss kommen«, krächzte es, »muss helfen! Oder Di-ta stirbt!«
27
»Bruder Thomas?«
Die Anrede stand ihm als Postulanten nicht zu, und bisher hatte keiner der Franziskaner ihn so angesprochen. Thomas, der beim Kienspan gestanden und zu schreiben versucht hatte, drehte sich um. Unter der Zarge der Zellentür stand Pater Antonius, der Novizenmeister. »Ich brauche einen Mann, der mich bei einer heiklen und
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