Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
»Bruder Laurentius wird uns begleiten«, erklärte der Novizenmeister.
Sein Anblick versetzte Thomas einen Stich. Zwar hatte er dem Guardian im Brustton der Überzeugung verkündet, auf Lentz Harzer könne nicht einmal der Teufel eifersüchtig sein, doch da hatte er sich getäuscht. Ja, Lentz Harzer, der jetzt Bruder Laurentius hieß, den graubrauen Habit und die Tonsur trug, war ein feiner Kerl, der nur das Beste verdiente. Ein Musterbeispiel. Er fing mit niemandem Streit an, ließ sich von niemandem reizen, vergaß keinen Arbeitsauftrag und kein Gebet. Wo ein Gefährte Schwäche zeigte, half er aus und schien selbst keine Schwäche zu kennen. Vor allem kannte er keine Zweifel. Dem Orden war er nicht beigetreten, weil er in der Welt gescheitert war, sondern weil es seinem innigen Wunsch entsprungen war.
Jeder liebte Lentz. Jeder wünschte sich ihn in seiner Nähe. Dass Pater Antonius ihn zu seinem Begleiter erkoren hatte, war mehr als verständlich. Wenn jemand in dieser Nacht von Nutzen sein konnte, dann war es Lentz in seiner Festigkeit und Stärke. War es aber nicht auch verständlich, wenn man den ewigen Musterknaben gelegentlich sattbekam?
»Thomas«, begrüßte ihn Lentz und reichte ihm mit einem Lächeln die Hand. »Diese Nacht wird hart. Ich bin froh, dass du es bist, den Pater Antonius dazugeholt hat.«
Thomas senkte vor Scham den Kopf. Zum ersten Mal in seinem Leben wünschte er, er hätte statt der Freundlichkeit die schallende Ohrfeige erhalten, die er verdiente.
Zu dritt eilten sie raschen Schrittes durch die nächtliche Stadt. Leichter Wind wehte, doch die Regenwolken hatten sich verzogen, und über ihnen wölbte sich der Himmel blauschwarz und von Sternen übersät. Einmal hatte Thomas unter einem solchen Himmel ein Mädchen geliebt. Die Sehnsucht traf ihn ohne jede Warnung, schnell und scharf wie ein Schwert.
Je näher sie dem Marienviertel kamen, desto lauter schwoll das Rauschen an, zu dem sich das Gewirr unzähliger Stimmen vereinte. Der Gestank nach verbranntem Fleisch hing noch immer in Schwaden in der Luft, und hinzu kam eine Spannung, die schier mit den Händen zu greifen war. Die drei Männer tauschten kein Wort mehr, nur alle paar Schritte einen Blick. Als sie durch die Heringsgasse auf den Platz zustrebten, kam der Nachtwächter ihnen entgegen. Im Lichtkegel seiner Laterne unterzog er die Ankömmlinge einer Prüfung, dann stützte er sich aufatmend auf den Stab seiner Hellebarde. »Dem Allmächtigen sei Dank, die Graukutten kommen! Beeilt Euch, Pater – die da sind völlig außer Rand und Band. Wenn die nicht einer zur Ruhe bringt, dann schlagen sie heute Nacht noch mehr Leute tot.«
»Wir werden mit Gottes Hilfe tun, was in unserer Macht steht«, erwiderte Pater Antonius. Nur wer im Laternenschein sehr genau hinsah, bemerkte, dass ihm die Lippen zitterten. »Habt Ihr selbst denn alles versucht, um die Leute nach Hause zu schicken?«
»Hab ich in der Tat«, beteuerte der Mann. »Hab sogar gedroht, einen auf die Hellebarde zu spießen, wenn sie nicht machen, dass sie wegkommen, aber die sind wie Taube oder Nachtwandler, die hören gar nichts mehr. Ihr da, Bruder«, mit einem Schwenk seiner Waffe wies er auf Thomas, »Ihr seid der Richtige für diesen Schlamassel. So wie Ihr gebaut seid, könntet Ihr die Kerle sogar einzeln vom Platz schleifen. Vor so einem kuschen die vielleicht.«
Es waren durchaus nicht nur Kerle auf dem weitläufigen Platz versammelt, sondern auch zahllose Frauen. Einige von ihnen drückten sogar Kinder an sich, die vor sich hin weinten oder trotz des Tumultes eingeschlafen waren. Ringsum waren Kienfackeln aufgestellt, die die Szene in flackerndes, gespenstisches Licht tauchten. Kaum traten die drei Männer unter Führung des Nachtwächters aus der Gasse, schwappte ihnen eine Woge von Menschen entgegen. Eine Frau fiel vor Thomas auf die Knie und umklammerte mit beiden Händen den Strick um seine Mitte.
»Ihr müsst uns helfen, Pater«, flehte sie. »Bei Gott und allen Heiligen, Ihr müsst uns retten! Der Papst wird mit uns dasselbe tun wie mit denen aus der Neumark – unsere Häuser abbrennen, unsern Kindern die Köpfe abschlagen und sie vor dem Stadttor aufspießen! Oder er verhängt den Bann über uns. Dann muss das Kleine, was ich im Leib hab, ungetauft bleiben, und seine unsterbliche Seele geht zum Teufel!«
Ich bin kein Pater, wollte Thomas erklären, aber welche Bedeutung hatte schon, was er war oder nicht war? Die Frau hatte Todesangst, war gehetzt
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