Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
Menschen.
Nur gab es Väter, die diesen herrlichen Namen nicht verdienten.
Die beiden Männer fielen einander in die Arme. Wie fühlte es sich an, von einem Vater gehalten zu werden, auf den Schultern seine Hände zu spüren, die liebevoll daraufklopften? Es musste das himmlischste Gefühl auf Erden sein, nach keinem anderen hatte er sich so sehr gesehnt. Tu es ein einziges Mal, hatte er seinen Vater angefleht, nimm mich in die Arme, zeig mir, dass ich dein Sohn bin.
Weiß ich’s, ob du’s bist?, hatte der Vater mit einem Grinsen erwidert. Immer wenn du mir begegnest, frage ich mich: Ist das einer von meinen? Sag mir doch jemand, wie der heißt, mir ist’s schon wieder entfallen. Wie kann denn ein Sohn von mir so völlig gewöhnlich sein?
Dafür hatte der Vater seine Strafe bekommen. Er aber hatte das himmlischste Gefühl auf Erden nie erleben dürfen und musste jetzt zusehen, wie der Unwürdige damit überschüttet wurde. Es war nicht länger ein Klopfen, mit dem der Vater die Schulter des Sohnes bedachte, es war ein Streicheln, ein von zärtlicher Hand erteiltes Lob. Der Vater aber vergrößerte die Qual, die er in seinem Winkel ausstand, und sprach es Wort um Wort aus: »Darf ich noch einmal ›mein Junge‹ zu dir sagen, auch wenn du durch und durch ein Mann bist? Mein Junge, ich platze vor Stolz auf dich. Ich hatte einen anderen Lebensweg für dich im Sinn, aber auf den, den du gehst, könnte kein Vater stolzer sein als ich.«
Wenn einem der eigene Vater solche Worte sagte – war es dann nicht spielend leicht, ein Held zu sein?
»Nicht vor anderen Leuten«, brummte sein Sohn, der keine Dankbarkeit kannte, und machte sich los. »Ich bekomme ja Angst, ich werde rot.«
Du bist längst rot wie ein Hahnenkamm, schrie er dem Verführer stumm ins Gesicht. Und das weißt du genau, trotz deines albernen Getues, so wie du weißt, dass alles dich anglotzt und dich für unwiderstehlich hält. Woher nahmen manche Menschen die Macht, andere zu verführen, in ihnen Liebe zu entfachen wie Lauffeuer – war es der Teufel, der sie ihnen verlieh? In diesem Augenblick hätte er seine Seele dem Teufel verkauft, nur um von einem Menschen so geliebt zu werden.
Der Verführer straffte die Schultern, ließ aber die Hand auf dem Arm seines Vaters ruhen. »Leider kann ich mit dieser Nachricht nicht länger hinter dem Busch halten«, sagte er.
»Aber es geht doch alles ganz glänzend!«, rief der Bäcker mit seiner speckigen Glatze. »Sagt nicht, diese Leuteschinder im Kerker haben unserem Diether ein Härchen gekrümmt!«
»Eher nicht«, erwiderte der Verführer und lächelte flüchtig. »Es geht Diether gut, er lässt alle grüßen, und es wird ihm auch weiter gut gehen. Wir müssen aber darauf vorbereitet sein, dass Stimmen im Rat versuchen werden, dies gegen uns zu verwenden: Michel Birnenwirt, der die Schänke hinter der Klosterstraße betreibt, hat heute früh auf seinem Abfall eine Tote gefunden. Es ist die Frau, die im Marienviertel verschwunden ist. Bechtolts Schwester.«
Einen Moment lang ließ der Schrecken sie schweigen. Dann rief Magda: »Aber die kennen wir doch gar nicht! Was hat denn Diether mit der zu schaffen?«
»Ihre Kehle war der Länge nach aufgeschlitzt«, erwiderte der Verführer. »Hinzu kommt, dass alle möglichen Leute behaupten, sie hätten deinen Bruder am Morgen vor dem Tod des Propstes wie von Teufeln gehetzt durch die Gassen laufen sehen.«
»Genau das hat auch Brida gesagt.« Vor Entsetzen presste Magda sich die Hände auf den Mund. »Brida, meine Freundin vom Markt – sie hat gesagt, sie habe meinen Bruder gesehen, als wären sieben Teufel hinter ihm her.«
»Und wer sagt, dass die bedauernswerte Dame an jenem Morgen zu Tode kam?«, fragte der Badersknecht.
»Michel versichert, sie habe am Abend zuvor noch gelebt«, erwiderte der Verführer. »Er ist verlässlich und auf unserer Seite. Ihre Familie schwört, sie sei seit dem nämlichen Abend verschwunden.«
Alles schwatzte und raunte durcheinander, und eine qualvolle Ewigkeit verstrich, ehe die Stimme des Verführers dem Haufen Ruhe gebot. »Wir sollten jetzt keine Zeit verlieren«, sagte er. »Es wird dunkel, und ich möchte noch einmal zu Diether zurück, um mit ihm über diese Frau zu sprechen. Es wäre vielleicht auch klug, Bechtolt zu befragen. Ich wüsste gern, was er vorhat, aber ich fürchte, er spricht mit keinem von uns.«
»Mit mir spricht er«, erwiderte sein Vater. »Wenn ihr wollt, breche ich sofort auf.«
»Ich bitte
Weitere Kostenlose Bücher