Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
herausholen, Ihr seid doch so viele, habt Freunde in Scharen, aber ich habe niemanden. Ich will nur das Geld. Gib es mir, und du bist mich los.«
»Ich wollte dich nie los sein, Utz.«
»Hör auf zu heucheln. Du hast nicht einmal bemerkt, dass du mich seit Tagen nicht mehr zu Gesicht bekommen hast. Wäre ich es gewesen, der tot unter Birnen-Michels Misthaufen lag, hätte mich auf der Welt kein Mensch vermisst.«
»Doch! Natürlich! Es war doch nur …«
»Diethers wegen. Ich weiß. Gib mir das Geld, Magda. Alles andere käme zu spät und kümmert mich nicht mehr.«
»Ich habe ja keines«, versuchte sie sich herauszuwinden, doch sofort landete seine Hand wieder auf ihrem Mund. Eisern schloss sich sein Griff um ihre Kiefer. Sooft sie sich zu wehren versuchte, packte er zu, als wolle er ihr die Zähne brechen. Die freie Linke fuhr hinunter auf seinen Gürtel und tauchte mit dem Werkzeug auf, das ins Bild gehörte. Diethers Torfmesser. Die Schneide glänzte geschliffen, auch wenn das Messer seit der letzten Benutzung nicht gesäubert worden war.
Magdas Schrei erstickte, während er ihr die Schneide der Länge nach an die Gurgel legte, so dicht, dass sie ihre Schärfe spürte. Sie wollte Luft holen, doch ihr Mund war verschlossen und die Nase vom sinnlosen Weinen verstopft.
»Sag mir, wo das Geld ist, Magda.«
Einen Herzschlag lang gab er ihre Lippen frei, sodass sie japsend nach Atem ringen konnte. »Utz … hör mich an … Diether muss …«
Die Hand verschloss ihren Mund, und das Messer ritzte ihre Haut. Das erbärmliche Weinen raubte ihr die Kraft. »Ich habe keine Geduld mehr, Magda. Meine Geduld hat sich an all den Schlägen und Schikanen abgewetzt, und jetzt ist kein Gran mehr davon übrig.«
Sehr langsam zog er die Schneide noch einmal über die Haut an ihrem Hals. Jetzt ist es zu Ende, durchfuhr es Magda. Sie wollte um ihr Leben schreien, doch ihre Stimme war gelähmt. Utz führte das Messer an die andere Seite ihrer Kehle und sagte etwas, doch der einsetzende Lärm verschluckte es. Mit der Gewalt von Donnerschlägen hämmerten Fäuste an die Tür. »Magda, Magda«, brüllte Thomas, »mach die Tür auf, Magda, oder ich schlage sie ein!«
Offenbar entschloss er sich mit dem letzten Wort, die andere Möglichkeit gar nicht erst abzuwarten. Der Krach, mit dem das Holz zersplitterte, war ohrenbetäubend, und gleich darauf begann oben der Großvater zu schimpfen. Thomas platzte mit drei, vier Sätzen in den Raum, riss Utz von ihr weg und stieß ihn zu Boden. Sie rangen nicht lange. Ihr Bruder wirkte verloren und schmächtig gegen den Mann, der über ihm kniete. Thomas löste seinen Gürtelstrick und fesselte Utz die Hände auf dem Rücken. Dann wandte er den Kopf nach Magda, sprang auf und schloss sie in die Arme.
»Mein Mädchen, mein Mädchen.« Er war nicht weniger außer Atem als sie, musste gerannt sein, als wären sieben Teufel hinter ihm her. »Bist du heil, geht es dir gut, brauchst du einen Arzt?«
Sie konnte nicht antworten, nur ihm die Hand auf die Brust legen, um ihn zu beruhigen. »Ich bin ein zum Himmel schreiender Idiot«, schalt er sich. »Wie habe ich dich denn hier allein lassen können, statt zwei und zwei zusammenzuzählen? Alle möglichen Leute haben erzählt, sie hätten deinen Bruder an jenem Morgen umherjagen sehen, und ich habe immer nur an Diether gedacht. Bitte verzeih mir, Magda. Ein bezauberndes Mädchen aus Berlin hat aus meinem Verstand dicke Erbsen gekocht.«
Der Großvater, in Nachthemd und Mütze, trat hinzu und streichelte scheu, mit zitternden Fingern, Magdas Rücken. »Ach, mein Kälbchen, Kälbchen, Kälbchen.« Ob das bedeutete, dass er mit seiner Rede fertig war oder ob er noch gar nicht begonnen hatte, ließ sich nicht sicher entscheiden.
Thomas half ihr, sich niederzusetzen, zog den unberührten Bierkrug seines Vaters heran und flößte ihr etwas davon ein. Es tat gut. Warm und vertraut rann ihr die rahmige Flüssigkeit die Kehle hinunter.
»Könnt Ihr auf sie achten?«, fragte er den Großvater, während er ihre Hände in den seinen wärmte. »Ich habe die anderen beim Kerker zurückgelassen, ich bringe diesen Menschen jetzt dorthin.« In seinen letzten Worten bebten Verachtung und Zorn, die Magda an ihm fremd waren.
Der Großvater nickte.
Er hatte Recht, dachte Magda. Verbrecher tragen kein Mal auf der Stirn wie Kain. Sie hatte keine Tränen mehr, es war alles leer geweint, ausgetrocknet wie der Tümpel, an dem sie als Kind mit ihren Brüdern gespielt hatte
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