Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
immer wehtun, aber sie ließen ihm keine Wahl.
Der vulgäre Bäcker prahlte jetzt mit den Scharen von Pöbel, die er zu Diethers Verteidigung aufbieten würde: »Jeder will kommen, wirklich jeder. Hier geht es um unseren Diether, habe ich ihnen klargemacht, aber zugleich geht es um unser Berlin. Wir dürfen uns von den Pfaffen nicht zwingen lassen, einen der Unsrigen zu opfern! Ist unser Diether nicht wie ein Symbol für unser Berlin? Niemand hat einem von diesen beiden etwas zugetraut, und jetzt will man sie wieder zurück in den Sand stoßen, aber lässt Diether, lässt Berlin sich davon unterkriegen? Mitnichten! Wie der Phoenix aus der Asche kommen wir zurück, und dann zeigen wir der Welt, was eine Harke ist, oder etwa nicht?«
Der Spandauer, Clewin Alvensleben, lachte höflich. »Ihr habt ganze Arbeit geleistet, mein Herr Tietz.«
»Petter, ich bitte Euch! Der Name ist Petter.« Der Bäcker knallte seinen Bierkrug gegen den des hohen Gastes, der unberührt auf dem Tisch stand und überschäumte. Wie gern wäre er aus seinem Versteck aufgetaucht, um dieser Horde von Wilden zu erklären, dass ein Herr von Rang ein solches Getränk als Beleidigung empfand.
Mit wahrer Größe sah Herr Alvensleben über den Schaum auf seinem Surcot hinweg. »Das soll mir recht sein, Herr Petter. Mein Name ist Clewin, und ich bin froh, einen ersten Erfolg bekanntgeben zu dürfen: Der Rat hat mich heute in unserem Fall auf den Schöffenstuhl berufen.« Applaus brandete auf. Der Bäcker und der Badersknecht grölten.
Clewins Erfolg war ein Heldenstück. Für gewöhnlich wurden Schöffen zur Schlichtung von Marktstreitigkeiten und ähnlichen Lappalien hinzugezogen, nicht aber für die schweren Fälle der Halsgerichtsbarkeit. Wenn dieser Spandauer zu so etwas in der Lage war – was hätte er dann erst für ihn möglich machen, was hätten sie Seite an Seite erreichen können!
Als es an der Tür klopfte, sprang Diethers schwangeres Flittchen auf, als gehörte ihr das Haus. Magda aber wies sie in die Schranken und ging selbst. Sie sah verändert aus. Jemand musste ihr gezeigt haben, wie sich ein Mädchen das Haar kämmte, wie ein Mädchen etwas Rot auf die Lippen legte und wie ein Mädchen seinen Fuß aufsetzte, ohne wie ein Brauereigaul zu stampfen. Hübsch war sie noch immer nicht, aber sie hatte heute etwas an sich, das Blicke auf sich zog. Ich habe dich innig geliebt, Magda. Mehr als die anderen. Ich wünschte, ich hätte bei dir bleiben und dich beschützen können, ich wünschte, keiner von uns hätte sich je allein gefühlt.
Magda zog die Tür auf und ließ den glutäugigen Mönch herein, dem man auf drei Meilen ansah, dass er Frauen schändete. Die Erkenntnis, dass er auch Magda geschändet hatte, versetzte ihm einen Stich. Warum nur durfte er nicht aus seinem Versteck auftauchen, warum durfte er den Verführer nicht strafen? Er hatte Magda von einer tauben Nuss befreit, und wäre seine Lage nicht so verzweifelt gewesen, hätte er mit dem gewissenlosen Lumpen dasselbe getan. So aber musste er tatenlos erdulden, was vor seinen Augen geschah. Mit seinen flirrenden Blicken machte der Mönch die arglose Magda kirre, strich ihr wie beiläufig über die Hand, und sie hielt seine Hand fest und wurde über und über rot.
Der Mönch wurde auch rot. Bis zu den Haarwurzeln und über die Ohren. Er war ein versierter Verführer, er konnte erröten, wie es ihm passte, und zu allem Unglück stand es ihm. Arme Magda. Der da beherrschte sämtliche Schliche, und die kleine Bernauerin mit ihren linkischen Avancen spielte ein verlorenes Spiel.
Während die beiden ihr Geturtel weitertrieben, stand Herr Alvensleben auf und drehte sich nach ihnen um. »Ich komme leider nicht mit guten Nachrichten«, sagte der Mönch, doch der Spandauer ließ ihn nicht weitersprechen. »Thomas!«, stieß er hervor, verharrte in der Bewegung und starrte den anderen an.
Er hatte sich auf eine qualvolle Wartezeit eingerichtet. Er hatte sein Herz, das ohnehin aus etlichen Wunden blutete, für neue Schmerzen gewappnet, doch das, was er jetzt zu sehen bekam, war schmerzhafter als alles, was er sich hätte ausmalen können. Die beiden Männer, der angesehene Kaufmann und der ruchlose Mönch, gingen aufeinander zu. Ihre Blicke hingen aneinander, ihre Gesichter verklärten sich bis zur Lächerlichkeit, und unverkennbar zeigte sich, was zwischen ihnen bestand: das Band zwischen Vater und Sohn, das nach göttlichem Willen stärker sein sollte als jedes andere Band zwischen
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