Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
das noch gänzlich unverdorben war. Sofort aber fiel ihm wieder ein, was für ihn auf dem Spiel stand. »Komm nach draußen«, sagte er zu Lentz.
»Draußen ist es eisig, und ich habe meine Cotta im Haus. Können wir nicht hier reden?«
Kurzerhand zog Utz ihn mit sich aus der Tür. »Was ich mit dir zu besprechen habe, ist nur für uns beide bestimmt.«
Ihre Schritte knirschten im Schnee, und der Bruder klapperte mit den Zähnen. Es war ein düsterer Tag, so tief und gelbgrau verhangen, dass vor dem Abend mehr Schnee zu erwarten stand. Bechtolt muss nach Berlin zurück, durchfuhr es Utz. Wenn er nicht bald aufbrach, würde er samt seiner Reisigen hier übernachten müssen. Damit kämen Utz’ Pläne ans Licht, ehe sie so weit gediehen waren, dass es kein Zurück mehr gab. Das musste er verhindern. »Lentz, ich brauche Geld«, platzte er ohne Vorbereitung heraus.
»Für Getreide?«, fragte Lentz verdutzt. »Aber wir haben doch sämtliche Speicher voll und dürfen ohnehin keines mälzen. Außerdem weißt du, was Großvater gesagt hat. Jede Ausgabe, die nicht lebensnotwendig ist, muss warten, bis das Brauverbot aufgehoben ist – wenn nicht noch länger. Denn die Löcher, die die Verbote uns in den Beutel reißen, müssen wir ja erst einmal zugestopft bekommen.«
Utz musste mühsam an sich halten, um den Bruder nicht zu unterbrechen. »Um die paar Pfennige geht es doch nicht!«, rief er, sobald Lentz fertig war. »Ich habe in der Verkostung einen Getreidehändler aus Berlin sitzen, der mir helfen würde, mir dort etwas aufzubauen. Er sagt, ich hätte das Zeug zu einem Händler. Wir sind im Frühling durch ein Geschäft bekannt geworden, um genau zu sein, sogar durch einen Streit, denn wir hatten es beide auf dieselbe Fuhre Getreide abgesehen. Dadurch jedoch lernte ein jeder von uns das Verhandlungsgeschick und die Beharrlichkeit des anderen kennen und schätzen.«
»Das freut mich für dich«, warf Lentz vage ein.
»Dieser Herr Bechtolt würde mir ein Kontor verkaufen, am Olden Markt, da wo in Berlin der Handel blüht«, fuhr Utz sogleich fort. »Mit dem Besitz eines Grundstücks und der Eröffnung eines Handelsgeschäfts könnte ich um das Berliner Bürgerrecht nachsuchen. Ich müsste klein anfangen, sicher, aber der Herr Bechtolt will mir ja den Steigbügel halten. Du wirst sehen, im Handumdrehen habe ich mir als Händler einen Namen gemacht und zahle euch das Geld zurück.«
»Aber du bist doch Brauer, kein Händler«, stammelte Lentz, der sichtlich kein Wort verstand.
»Das Brauerhandwerk ist nichts für mich«, sprach Utz aus, was er in seinem Herzen vergraben hatte, solange er denken konnte. »Ich mag nicht einmal Bier. Vom Geruch von Hopfen wird mir übel, und wenn ich eine Würzepfanne füllen muss, bricht mir der Schweiß aus, bis ich schlimmer stinke als ein Wiedehopf. Mein Leben lang habe ich davon geträumt, ein Händler zu sein – mit Geld umzugehen und mit kultivierten Worten, nicht mit schleimig vergorener Masse, die auf Stunden an den Händen klebt.«
»Aber Utz.« Lentz legte ihm die Hand auf die Schulter. »Warum hast du denn nie ein Wort davon gesagt? Weißt du, ich selbst bin ja auch kein Brauer aus Leidenschaft wie der Großvater. Für mich ist die Bierbrauerei einfach der Platz, an den der Herrgott mich gestellt hat, und den versuche ich auszufüllen, so gut ich eben kann. Manchmal ist es mir schwergefallen, doch seit ich Alheyt und nun bald noch unser Kleines habe, weiß ich, für wen ich es tue, und es fällt mir so leicht, dass ich es kaum bemerke. Meinst du nicht, Utz, wenn du erst einen Menschen hast, für den du so gern sorgen willst wie ich für meine Alheyt, dass du es hinnehmen kannst wie übles Wetter und Boden, der zu hart zum Umgraben ist?«
»Ich will kein übles Wetter hinnehmen, ich will ein Haus, in dem jeder Raum beheizt ist«, brach es aus Utz heraus. »Ich will keinen Boden voller Ziegendreck mehr umgraben, um meine Grütze mit ein paar läppischen Bohnen zu strecken. Ich will mein Essen auf dem Markt kaufen, wie es sich für Städter ziemt: weißes Brot und hellgoldenen Honig, Fleisch, das nicht stinkt, und Wein aus Ländern, in denen es nicht ständig regnet und schon gar nicht schneit.« Erschrocken schlug er die Hand vor den Mund. Er hatte so laut gesprochen, dass zwei Weiber mit Einkaufskörben kichernd die Köpfe drehten.
»Aber Utz«, stammelte Lentz noch einmal und ließ seine Schulter nicht los. »Ich wünschte, ich hätte gewusst, wie unerträglich dir
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