Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
so viel Wert auf sein Betragen legte, fluchen: »Weshalb scheren wir uns überhaupt um das vermaledeite Gebräu? Bier ist ein Gesöff für Bauern, die städtischen Patrizier in Berlin tun es längst dem Adel nach und trinken Wein. Der Getreidepreis steigt mit jedem Tag, und unsere Kisten laufen über. Wären wir Mitglied einer Gilde, könnten wir jetzt einen Handel beginnen, und mit der Drecksarbeit an der Würzepfanne wäre ein für allemal Schluss.«
»Und wer hat dich nach deiner Meinung gefragt, Grünschnabel?«, knurrte der Großvater ihn an. »Damit du’s weißt: Vor meiner Tür hängt der sechszackige Stern der Bierbrauer. Vor meines Vaters Tür hing derselbe Stern und vor der meines Großvaters nicht minder. Ein jeder Mann in dieser Familie war stolz darauf, sich diesen Stern vor seine Tür zu hängen, und Lentz und Endres werden genauso stolz sein. Albrecht der Bär, der größte Herrscher, den die Mark je hatte, hat diese Stadt für ihr Bier begründet, und durch ihr Bier wird sie bestehen, solange Brandenburg besteht.«
»Aber begreifst du denn nicht, dass die Herrschaft des Bären mehr als ein Zeitalter her ist?«, rief Utz der Verzweiflung nahe. »Wer nicht untergehen will, muss sich dem Wandel der Zeiten anpassen, und eben das ist es, was ich für uns auf den Weg bringen will.«
»Wenn dir das, was dieses Haus erhält, nicht mehr passt, steht es dir frei, dein Bündel zu schnüren«, erwiderte der Großvater kalt. »Ich hab meiner Sanne versprochen, auf ihre Jungen und das kleine Kälbchen achtzugeben, aber du bist alt genug, für dich selbst zu sorgen, und Reisende soll man nicht aufhalten, aufhalten.«
»Dann zahl mir meinen Anteil vom Erbe meines Vaters aus, damit ich mich auf eigene Füße stellen kann«, kam es prompt von Utz zurück.
Magda erschrak. Sie wollte nicht, dass Utz von ihnen fortging. Solange die Familie beieinanderblieb, würde sich alles andere schon finden. »Einverstanden«, sagte der Großvater und trat vor Utz hin. »Gib mir also deine Hand, damit ich dir das, was dir zusteht, auszahlen kann.«
Ehe Utz wusste, wie ihm geschah, hatte er ihn beim Gelenk gepackt und ihm zweimal klatschend in die leere Handfläche geschlagen. »Da hast du. Und da noch eins dazu. Das ist, was dein Vater euch hinterlassen hat – keinen lumpigen Pfennig. Meine Sanne hat den Kerl gewollt, also sollte sie ihn haben, das arme Ding, aber getaugt hat er nicht mehr als du. Was ihr auf dem Leib tragt und euch in die Bäuche stopft, das habt ihr durch die Mutterseite. Durch meine Sanne. Durch mich. Ich halt’s zusammen, bis sie mich auf der Bahre aus meinem Haus tragen, unter dem sechszackigen Stern hindurch, und danach werden Lentz und Endres weiterführen, was mein Ahnherr begonnen hat.«
»Und was wird aus mir?«, entfuhr es Utz.
»Das frag Endres und Lentz«, entgegnete der Großvater. »Wenn es nach meinem letzten Willen geht, bekommst du dein Wohnrecht und einen vollen Teller und sonst nichts, nichts, nichts.«
Das dreimal wiederholte Wort hallte schärfer als ein Schlag. Vermutlich hatten die Übrigen genau wie Magda angenommen, dass der Großvater nicht viel mehr als seinen Namen schreiben konnte und sich um Amtsgeschäfte nicht scherte. Er aber hatte das, was er auf der Verlobungsfeier verkündet hatte, ernst gemeint: In aller Heimlichkeit hatte er einen letzten Willen aufgesetzt und dabei zwei seiner Enkelsöhne übergangen.
Flüchtig fürchtete Magda, Utz werde auf den alten Mann losgehen, aber wie üblich beherrschte er sich, wenn ihm auch ein Zittern von seinem Nacken aus über den Rücken lief.
Gleich darauf stand Lentz bei ihm und legte ihm den Arm um die Schultern. »Das war unnötig«, sagte er zum Großvater. »In dem Haus, in dem mein Kind zur Welt kommt, wünsche ich nicht, dass mein Bruder gedemütigt wird. Kein Wunder, dass weder Päpste noch Könige Frieden halten können, wenn es uns in der eigenen Familie nicht gelingt.«
Damit führte er Utz aus der Stube, und Magda sah ihm bewundernd nach. Lentz war stets der Friedfertigste unter ihnen gewesen, doch seit seiner Heirat hatte er eine innere Stärke und Zuversicht dazugewonnen, die ihnen in dieser Zeit der Unruhe Halt verlieh. Wenn Diether sich wahrhaftig einbildete, Alheyt habe ihn geliebt und Lentz nur wegen seines Erbes genommen, dann betrieb er Augenwischerei. Alheyt liebte Lentz mit allem Ernst, zu dem ihr Wesen fähig war, und er liebte sie, wenn das überhaupt möglich war, noch inniger. Trotz seines Bartes wirkte er
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