Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
zusammengesunken zwischen der ärmlichen Habe kauerte: »Schaut alle nach vorn, auf die Stadt! Dort liegt eure neue Heimat. Dort liegt Berlin.«
Lentz und der Großvater blieben untätig sitzen. Magda aber sprang auf und schirmte die Augen mit der Hand gegen die blendende Abendsonne ab. Da siegte auch bei Diether die Neugier, und er rappelte sich auf. »Drei Kirchtürme«, stieß Magda überwältigt aus. »Und einer ist höher als der andere.«
»Der höchste gehört der Nikolaikirche«, erklärte Utz. »Gewidmet dem heiligen Nikolaus von Myra, dem Schutzpatron der Kaufleute. Sie liegt nämlich mitten in einer Kaufmannssiedlung, und Kaufleute haben sie erbaut. Wir wollen sie zu unserer Kirche machen und um ihren Segen für unser Geschäft bitten, einverstanden?«
»Eine Kirche kann dein Geschäft nicht segnen«, ließ sich unvermittelt Lentz vernehmen. »Nicht einmal eine für Kaufleute. Segen spenden kann Gott allein, und er segnet dein Herz, nicht dein Geschäft.«
Kurz herrschte Schweigen. Dann stieß Diether, der so lange nicht gelacht hatte, ein Glucksen aus, das allerdings nicht froh klang. »Seht an, der vermaledeite Propst Nikolaus ist mit von der Partie. Wäre ja auch zu arg gewesen, wenn wir auf den hätten verzichten müssen.«
»Diether, ich verbiete dir fortan das Fluchen«, sagte Utz. »In Berlin schickt sich das nicht. Nicht für die Familie eines ehrbaren Händlers der Gilde.«
»Ha!«, rief Diether, und es kam Utz vor, als hätte er schon wieder getrunken. »Und was willst du tun, wenn ich auf dein Verbot einen fahren lasse? Mir eine Tracht Prügel verpassen? Oder schickst du mich nach Bernau zurück, damit der Rat doch noch zur Einsicht kommt und mich als Mörder aufs Rad knüpfen lässt?«
»Diether!«, rief Magda, packte den Schwankenden an der Schulter und setzte sich mit ihm nieder, damit er nicht vom Karren kippte.
Utz seufzte. Diethers Frage war nicht unberechtigt. Was sollte er tun, wenn der kleine Bruder sich nicht fügte, wenn ihm das Leben in Berlin nicht half, auf einen achtbaren Weg zurückzufinden? Nichts konnte er tun, nur hoffen und helfen, wo es möglich war. »Du hast mir nichts zu verbieten«, lallte Diether. »Ich bin ein freier Mann.«
»Ja, das bist du«, erwiderte Utz beherrscht. »Und damit du es bleibst, sind wir hier und ertragen deine Launen.«
Er wandte sich wieder der Straße zu und atmete durch. Kurz darauf spürte er eine Hand auf seiner Schulter. »Danke«, sagte Magda und sandte ihm ein müdes, halbes Lächeln.
»Wofür?«
»Dafür, dass du Diether nicht zum Teufel schickst. Erzähl mir noch von den zwei anderen Kirchen, ja?«
Sie war mehr wert als Gold! Wenn kein Mann klug genug war, dies zu erkennen, würde er auf immer für sie sorgen. »Setz dich zu mir«, sagte er und rückte auf dem Bock beiseite. »Das da zur Linken ist die Marienkirche, wie jede Stadt eine hat. Gewöhnlich liegt sie am Markt wie in Bernau, doch den Platz bei der Berliner Marienkirche kenne ich nicht, weil sich ja alles Wesentliche am Olden Markt abspielt. Und dann gibt es noch die Petrikirche, deren Kirchturm du dort hinter dem Flussufer siehst. Die steht in Cölln, das seit knapp zwanzig Jahren mit Berlin vereint ist. Weißt du, warum die Kirche Petrus, dem Fischer unter den Aposteln, geweiht ist?«
Magda schüttelte den Kopf.
»Weil Cölln eine Siedlung von Fischern war, ehe die Fernhändler kamen und der Doppelstadt neue Wege eröffneten. Im Fischfang lag der Ursprung, doch dem Handel gehört die Zukunft. Ich habe für den Anfang ja ein Kontor für Getreide erworben, aber ich denke, ich werde mich auch an Tuchen und Gewürzen versuchen, was meinst du?«
Sie lehnte den Kopf an seine Schulter. »Ach, Utz, du steckst so voller Tatendrang und machst all diese Pläne für uns. Ich wollte, wir wären dir eine Hilfe und nicht nur ein Klotz am Bein.«
»Du bist mir eine Hilfe, mein Herz.«
Das Lachen misslang ihr, als hätte sie es verlernt. »Nun, zumindest kann ich dir eine Bernauer Erbsensuppe mit Speck und Schweinsohren kochen, wenn dir der Sinn nach Deftigem steht.«
Er lachte mit. »Um ehrlich zu sein, hoffe ich in Berlin auf feinere Speisen. Auch hätte ich gern eine Magd, damit nicht du dich am Herd plagen musst. Aber fürs Erste …«
Ihre Blicke trafen sich. »Aber fürs Erste tut’s meine Erbsensuppe«, bestimmte Magda. »Die schafft immerhin Kraft, und davon können wir mehr als genug brauchen. Danke, dass du dich mit uns abschleppst, Utz. Danke, dass du das alles
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