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Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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vor Grauen, Tod und Schande, doch als der Abend heraufdämmerte und ihr Karren sich rumpelnd aus dem Dickicht des Kiefernwaldes quälte, überwältigte ihn trotz allem der Moment des Glücks. Vor ihnen erstreckten sich die noch kahlen Roggenfelder, und dort, wo sie endeten, erahnte er die Gebäude der Stadt. Wir ziehen nach Berlin ein. Meine Geschwister und ich werden Bürger von Berlin.
    Der Tag war der strahlendste seit Monaten gewesen. Manchmal hatte Utz geglaubt, solche Tage gäbe es gar nicht mehr. Ohne Zweifel hatte das Wetter sich verschlechtert, obgleich er sich weigerte, an eine Strafe Gottes zu glauben. Wenn Gott Grund hatte, jemanden zu strafen, dann waren es die Pfaffen, die wie mit Schlingarmen an ihrer Macht festhielten und jedem Fortschritt einen Riegel vorschoben. Gewiss waren es nicht die tapfer schuftenden Bauern, die lange vor ihrer Zeit an Entkräftung starben, und genauso wenig die Bürger der Städte, die endlich ihren Platz auf der Sonnenseite forderten und ihn sich mutig und trotzig erkämpften.
    Warum auch immer das Wetter sich zum Üblen verändert hatte – in Berlin, in dem neuen Haus, das er mit dem Kontor erworben hatte, würde seine Familie nicht darunter leiden. »Es ist kein Palast«, hatte Bechtolt gesagt. »Aber viele haben mit Schlechterem anfangen müssen. Ihr werdet es Euch schon behaglich einrichten, mein Bester, dessen bin ich sicher.«
    Auch ihr Haus in Bernau war alles andere als ein Palast gewesen: ein schmalbrüstiges, schmuckloses Stadthaus, nach vorn hin ausgekragt, sodass es die Gasse verdunkelte, die Räume winzig und kaum zu heizen. Einzig der Bau aus Backstein, Großvaters Stolz, hatte von seinem Status als Handwerksmeister der Zunft gekündet. Weniger erfolgreiche Handwerker wie Endres’ Eltern bewohnten Häuser aus Fachwerk, und die Zunftlosen, denen das Bürgerrecht fehlte, mussten froh sein, wenn sie ein schlichtes Holzdach über ihrem Kopf ihr Eigen nannten.
    Utz hatte in Berlin genügend Häuser von Handwerkern gesehen, um zu wissen, dass die Bernauer Bauten sich damit nicht messen konnten. Und er hatte nicht das Haus eines Handwerkers, sondern das eines Händlers gekauft, am Olden Markt, in Berlins feinster, florierendster Gegend! Seine Geschwister würden mit offenem Mund vor ihrem neuen Zuhause stehen. Endlich würden sie sich wieder wie ehrbare Menschen fühlen, eine Würde, die man ihnen in Bernau entrissen hatte.
    Um ein Haar vergaß Utz, das Pferd auf der holprigen Straße zu lenken, so viel Vergnügen machte es ihm, sich auszumalen, wie die anderen staunen würden, wenn sie ihr Haus zu sehen bekamen. Diether würde das alte, schon fast vergessene Feuer an den Tag legen, und sogar Lentz würde sich an Wärme und Behaglichkeit ein wenig freuen. Und Magda, die arme, beherzte Magda, die mehr gelitten hatte als sie alle, sollte die beste Kammer im ganzen Haus erhalten.
    Er hätte viel darum gegeben, bereits Namen und Ansehen zu besitzen und ihr damit einen geeigneten Bräutigam verschaffen zu können. Stämmig und struppig, wie sie war, galt sie gemeinhin nicht als hübsch, wiewohl Utz diese Sicht nicht verstand. Magda konnte sich vielleicht nicht mit Fronica messen, die in seinen Augen die schönste Frau unter dem Himmel war, doch in ihrer Tapferkeit und ihrer Treue besaß sie einen eigenen Liebreiz, mit dem sie jedem Mann den Lebenskampf erleichtert hätte.
    Vielleicht würde sich in ein paar Jahren doch noch ein Bewerber für Magda finden. Und wenn nicht, das schwor sich Utz, würde sie in seinem Haus eine Stellung innehaben, die der einer Hausfrau in nichts nachstand. Sie sollte nicht wie die arme Barbara als Dienstmagd schuften, sondern sein Glück und seinen Wohlstand teilen. Es würde lange dauern, bis er Fronica heiraten konnte. Ihr Totenschädel von einem Gatten war zwar älter als die Sünde, aber er hielt sich genauso wacker auf den Beinen. Unsterblichkeit besaß jedoch auch er nicht, und irgendwann würde es Utz und Fronica vergönnt sein, ihr gemeinsames Leben zu beginnen. Das Paradies auf Erden wollte er seiner Liebsten bereiten und ihr nur eine Bedingung stellen: Sie sollte seine Schwester in Ehren halten, denn am Paradies auf Erden stand Magda ein Anteil zu.
    Über den noch ungepflügten Feldern ging die Sonne unter, als hätte ein Verschwender flüssiges Gelbund Rotgold miteinander vermischt. Gleich darauf tauchte hinter der flachen Kuppe des Hügels die Mauer auf. Utz drehte sich auf dem Bock um und rief zu dem Häuflein hinüber, das

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