Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
denn das nicht zu was führen?«
»Was meinst du damit?«, fragte Magda, die es satt hatte, dass kein Mensch die Dinge beim Namen nannte. »Hast du Angst, er stellt etwas an?«
Der Großvater seufzte. »Die habe ich, seit er auf der Welt ist. Aber hier ist alles so viel größer, eine Versuchung jagt die nächste, und der Junge ist fremd. Schon bei uns daheim hatte er nicht mehr Urteilsvermögen als ein Maulwurf. In was für ein Schlangenloch soll er da erst hier tappen?«
»Ich weiß, dir war Endres hundertmal lieber«, murmelte Magda. »Aber kannst du an Diether nicht ein gutes Haar lassen? Immerhin hat dieser Mann, den er aufgetrieben hat, uns aus dem tiefsten Loch herausgeholfen, und wie wir ohne ihn an Gerät gekommen wären …«
»Beim heiligen Florian, was ist denn das für ein Unsinn?«, platzte der Großvater ihr in die Rede. »Mir war doch der Endres nicht lieber als der Diether, mein eigen Fleisch und Blut. Der Endres war ein feiner Bursche, der Enkel eines wahren Freundes, und als Mann für dich hätte er mir gefallen. Aber der Diether – zum Teufel, das lässt sich doch gar nicht vergleichen –, der Diether ist der Sohn meiner Sanne!«
Das Bild der Welt, wie Magda es immer gesehen hatte, erhielt auf einmal Risse und verschwamm. »Aber du hast ihm doch Endres ständig vorgehalten!«, rief sie. »Wann immer Diether etwas nicht sofort zustande brachte, hast du ihm in den Ohren gelegen, wie großartig Endres doch sei.«
»Ach, damit wollt ich ihn doch nur ein bisschen triezen«, brummte der Großvater. »Was hätt ich denn sonst machen sollen? Ihm den Hintern durchhauen, wie sein Vater es getan hat? Das hatte bei dem doch keine Wirkung, davon ist er nur immer verstockter geworden. Also dacht ich mir, ich packe den Burschen bei der Ehre, ich stachele seinen Ehrgeiz an, indem ich ihm den Endres vor die Nase halte …«
»Davon ist er erst recht verstockt geworden«, schnitt ihm Magda das Wort ab. »Weißt du, wie tief du ihn damit verletzt hast, wie tief du die Freundschaft zwischen Diether und Endres verletzt hast?«
Der Großvater hob den Blick von den glühenden Scheiten und sah zu ihr auf. Seine Augen waren trübe. In quälender Langsamkeit nickte er.
»Du hast sogar einen letzten Willen aufgesetzt und darin Diether enterbt!«
»Nicht doch«, krächzte der Großvater. »Dummes Geschwätz eines alten Narren – es hat doch wohl nicht tatsächlich einer von euch daran geglaubt?«
»Ganz Bernau hat daran geglaubt«, parierte Magda scharf.
»Aber wie könnt ihr denn so was von mir denken? Ich würde doch den Diether, den jüngsten Sohn meiner geliebten Sanne, nicht enterben. Und für den Endres habe ich schließlich deine Mitgift erspart, damit er auch zu was kommt, wie ich es ihm als Pate schuldig war.«
All das klang schlüssig und passte zusammen, und doch war Magda nicht fähig, das neue Bild, das sich ergab, in sich aufzunehmen. »Und wenn Endres dir wirklich nicht mehr als wir andern am Herzen lag«, begann sie noch einmal, »weshalb hast du dich dann seit seinem Tod betragen, als wärst du mit ihm gestorben? Du warst nicht mehr du selbst – keiner von uns war dir auch nur ein Lächeln wert.«
»So war es nicht.«
»Wie war es dann?«
»Ich will’s dir nicht sagen. Hab doch geschworen, dass ich dich beschütze.«
»Der Schwur gilt lange nicht mehr. Ich bin erwachsen und habe ein Recht darauf, es zu wissen.«
»Lass mich, mein Kälbchen. Nicht alles Wissen ist heilsam. Manches verschlägt dir die Sprache und macht, dass du an nichts anderes mehr denken kannst.«
Das war Magda selbst nur allzu gut bekannt. Das Wissen um ihre Träume, das sie in sich vergrub, raubte ihr noch immer den Schlaf. »Sag’s mir«, forderte sie nichtsdestotrotz. »So schlimm wie das, was ich aus deinem Schweigen schließe, kann die Wahrheit nicht sein. Warum warst du seit Endres’ Tod selbst wie ein Toter, warum hast du uns gemieden, uns behandelt, als wären wir einfach nicht mehr da?«
»Die Wahrheit ist schlimmer«, erwiderte der Großvater dumpf. »Ich hab euch gemieden, weil ich Angst hatte. Weil ich nicht wollte, dass mir einer entlockt, was in meinem Kopf umgeht.«
»Und was geht darin um? Wovor hattest du Angst?«
Der alte Mann senkte den Blick zurück aufs Feuer, die Augen weit aufgerissen, obgleich die Glut ihn blenden musste. »Davor, dass es wahr sein könnte«, murmelte er. »Das, was die Leute reden. Dass der Diether das Torfmesser genommen und den Endres totgestochen hat.«
In der
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