Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
braucht.«
Hatte er ihr das alles nur erzählt, um sie wissen zu lassen, dass er eine neue Liebschaft hatte? Noch dazu eine, die Geld von ihm verlangte?
»Ich brauche einen Schilling«, sprach Diether weiter. »Nur damit ich sie und ihre Schwester in einem besseren Quartier unterbringen kann. So ein Loch wie das, in dem sie hausen, hast du dein Lebtag nicht gesehen, Magda. Gretlin wird krank davon. Sie hustet zum Gotterbarmen und schreit sich Nacht für Nacht die Seele aus dem Leib.«
Magda wollte nichts mehr hören. Sie hatte den Kopf zu voll, um auch nur den kleinsten Winkel für eine unbekannte Gretlin freizuräumen oder darüber nachzudenken, wie viel von Diethers Erzählung wohl der Wahrheit entsprach. »Wenn du das Geld von deinem Bäcker tatsächlich bringst, kannst du einen Schilling für dich selbst behalten«, sagte sie.
»Schwesterchen, du bist die Beste!« Mit einem Ruck kam Leben in Diether, er sprang zu ihr und riss sie in die Arme. Dann drückte er ihr einen Kuss auf die Stirn und auf jede Wange. »Die Allerbeste bist du. Hab tausend Dank!«
Magda ließ seine Liebkosungen über sich ergehen, doch sie empfand nichts dabei. Sie sollen alle ihre Finger von mir lassen, dachte sie. Vielleicht gefällt es mir ja wieder, von einem Menschen geherzt zu werden, wenn ich zur Abwechslung einmal weiß, dass ich mich auf ihn verlassen kann .
Zwei Tage später brachte Diether ihr das Geld – das Doppelte des vereinbarten Betrages. Darüber hinaus lieh sein Bekannter ihnen einen Handkarren, damit sie ihre Einkäufe heimschaffen konnten.
Sofort zog Magda los, um eine Würzepfanne und die nötigsten Gefäße zu kaufen. Obgleich sie nie zuvor in solchem Umfang Geschäfte getätigt hatte und manche Händler sich sträubten, mit einer Frau zu verhandeln, hatte sie am Ende auf ihrem Karren, was sie brauchte. Das Geld war noch knapper, als sie befürchtet hatte. Mit den letzten Pfennigen marschierte sie schließlich zur Marktaufsicht, fand diesmal ohne Schwierigkeiten Einlass und erwarb eine Marke, die die Familie Harzer berechtigte, auf dem Wochenmarkt einen Scharren zu betreiben und dort gebrautes Getränk feilzubieten. Damit war die Summe restlos ausgegeben. Ihr erstes Berliner Bier würden sie ohne Hopfen brauen müssen.
Der Großvater fluchte über das verbeulte, zusammengestoppelte Gerät, doch auf die Arbeit stürzte er sich wie auf ein Lebenselixier. Ohne Hopfen zu brauen, hatte er als Junge gelernt, und mit dem Tatendrang eines Jungen führte er Magda vor die Stadt, um junge Kräuter zu sammeln, die zusammen mit den Gagelblättern eine würzige Grut ergaben. Schier über Nacht war es Frühling geworden. Aus jeder Spalte, jedem toten Baumstamm, jeder Pore der Erde brach das Grün, das neues Leben versprach.
Diether half ein paar Stunden lang halbherzig bei den Vorarbeiten, dann brach er, wie er sagte, zu einer dringenden Verabredung auf. Lentz und Utz hielten sich überhaupt fern, und so standen Magda und der Großvater allein in der Braustube, die sie im Erdgeschoss des Kontors eingerichtet hatten. Es gab alle Hände voll zu tun, doch sie waren beide harte Arbeit gewohnt.
Ihre Brüder mochte Magda nicht bedrängen. Lentz würde früher oder später schon mitanpacken, er tat schließlich immer, was getan werden musste. Utz, der am Boden zerstört war, sollte Zeit haben, sich von seiner Niederlage zu erholen, und was Diether betraf, so betete sie lediglich darum, dass er, was immer er tat, nicht zu Schaden kam.
Mit dem Brauen kehrte ein Stück Vertrautheit zurück, ein bekannter Tagesablauf, an dem Magda sich festhalten konnte. Das erste schnell gebraute, kurz gegärte Jungbier nahm ihnen Diethers Freund, der Bäcker, ab, sodass Geld ins Haus kam, und eine Woche später stand Magda das erste Mal mit ein paar Kannen auf dem Markt. Verglichen mit dem, was sie in Bernau verkauft hatten, war dies nur ein kümmerlicher Anfang, doch ihr Bier ging schneller über den Tisch als die warmen Brezeln ihres Standnachbarn. Die Hoffnung wuchs: Sie würden sich aus eigener Kraft wieder auf die Füße kämpfen. Ein tückisches Großmaul wie Bechtolt bekam die Harzers nicht klein!
Zwischen ihr und dem Großvater spielte sich rasch jeder Handgriff ein. Die meiste Zeit über erledigten sie schweigsam und schwitzend ihre Arbeit, doch eines Morgens, als sie die Pfanne befüllt hatten und zu zweit das Feuer schürten, fragte der Großvater beinahe schüchtern: »Ist der Diether allein in der Stadt unterwegs? All die Tage? Wird
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