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Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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jähen Stille hörte Magda den Sud in der Pfanne brodeln und ihr eigenes Herz schlagen. Das Torfmesser. Wo war es geblieben? Dunkel erinnerte sie sich an jene Tage des Schreckens, an Diether, der sich bis an den Stadtrand geschleppt hatte, um Hilfe zu holen, und an die zwei Stadtknechte, die ihn und den Karren nach Hause gebracht hatten. Die beiden Schaufeln hatten auf dem Karren gelegen, auch die Bierkanne und die Flasche für den Schnaps, doch das Messer fehlte. Damals hatte keiner von ihnen die Kraft besessen, einen Gedanken darauf zu verschwenden, heute aber fragte sich Magda: Hatte Pater Honorius, um seinen Mord zu begehen, keine eigene Waffe bei sich getragen? Hatte er Diether das Torfmesser abgenommen und es hinterher im Moor versenkt?
    »Das kannst du nicht glauben«, sagte sie zum Großvater. »Du darfst es nicht.«
    »Ich weiß.« Die Stimme des Alten war nicht mehr als ein Krächzen. »Und selbst wenn es so gewesen wäre, hätte ja doch nicht Diether Schuld, sondern ich. Die zwei waren Freunde, der Diether und der Endres. Ich war es, der das zerstört hat, ich hab den einen gegen den andern aufgehetzt.«
    Er stützte sich an der Wand ab und rang pfeifend nach Atem. »Und was euren Vater angeht – der hatte doch für den Diether nichts übrig als ewig und drei Tage den Stock. Manchmal habe ich schon bei mir gedacht: Ich hätt den Schinder auch umgebracht, wenn der mein Vater gewesen wär und mich so behandelt hätt.«
    »Du verdächtigst Diether, auch den Vater getötet zu haben? Bist du nicht bei Sinnen? Ein Raubritter hat es getan, das hast du selbst gesagt – und Diether war doch damals noch ein Kind.«
    »Fünfzehn war er«, murmelte der Großvater, ohne Magdas Blick zu erwidern. »Stämmig für sein Alter.«
    »Aber der Vater war viel stärker!«
    Jetzt blickte der Großvater doch auf und sah aus, als hätte er gern geweint. »Stärker ist der, der das Messer hat«, sagte er leise. »Und dann vergiss nicht: Wer dauernd den Stolz verdroschen kriegt, der wird wütend, und wer wütend ist, dem wächst eine tückische Kraft.«
    »Und das Fuhrwerk?«, rief Magda und klammerte sich an dem Gedanken wie an einem letzten Strohhalm fest. »Was hätte Diether denn mit dem Fuhrwerk voller Bierfässer anfangen sollen?«
    »Ich hab’s nie einem Menschen gesagt«, erwiderte der Großvater tonlos mit gesenktem Blick. »Unsern Karren haben sie später hinter Biesenthal gefunden. Der Gaul war natürlich ausgespannt und das Bier verschwunden, aber der Karren sah aus, als hätte der Mörder ihn einfach auf dem Moor seinem Schicksal überlassen.«
    Ihr Feuer war dabei zu ersticken. Auch das Brodeln in der Pfanne war bis auf ein mattes Summen verstummt. Magda packte den Schürhaken und hieb ihn mit aller Gewalt in die Glut, um sie von Neuem zu entfachen. »Das ist alles Unsinn«, sprach sie vor sich hin, ohne den Großvater anzusehen. »Alles Unsinn. Willst du dich ausruhen? Ich muss das Getreide in den Keimkästen befeuchten, wenn wir umgefüllt haben. Das schaffe ich auch ohne dich.«
    Der Großvater, der sich nie im Leben tagsüber ausgeruht hatte, nickte. Ein letztes Mal begegneten sich ihre Blicke, und damit trafen sie ihr stummes Abkommen: Sie würden das, was zwischen ihnen gesprochen worden war, behandeln, als wäre nie ein Wort davon gefallen.
    In dieser Nacht kam der Traum. Magda wollte schreien, sobald sie das weiße Gesicht der Mutter erkannte, das sich diesmal einfach aus der Finsternis über ihr Lager beugte. Zum ersten Mal öffnete sich in dem weißen, augenlosen Gesicht ein Mund, um zu ihr zu sprechen. Der Anblick war so grauenhaft, dass der Schrei ihr im Halse stecken blieb.
    »Ich bringe dir deinen Bruder«, sagte die Stimme der Mutter, die sie nie gehört hatte. »Er hat dich innig geliebt, und er wird dich weiter lieben, doch er kann nicht mehr lange bei dir bleiben. Eine kleine Weile noch. Dann muss er gehen.«
    Starr vor Entsetzen sah Magda, wie die Erscheinung zur Seite trat und den Blick auf eine Gestalt freigab, die hinter ihrem Rücken gewartet hatte. Es war ein Mann von mittlerer Größe, das Haar hell wie bei jedem ihrer Brüder, aber um mehr zu erkennen, war das Dunkel zu dicht. »Welcher?«, wollte Magda schreien, »welcher?«, doch aus ihrer Kehle drang kein Ton.
    Auch der Bruder schwieg. Nur die Mutter erhob noch einmal die Stimme. »Er hat kein Recht, zu dir zu sprechen«, sagte sie. »Er wünscht dir jedoch, dass alles Glück der Welt auf dich fällt und du dich dein Leben lang nie

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