Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
allein fühlen musst.«
Das geisterhafte Schemen hob die Hand und winkte Magda zu. Auch der Bruder im Dunkeln winkte, dann tauchten sie beide in die Tiefe des Raumes ein und lösten sich auf.
»Welcher?«, brüllte Magda aus Leibeskräften, und mit dem Schrei auf den Lippen schreckte sie auf. Ihr Nachthemd klebte an ihr, und der Schweiß rann noch immer in Strömen. Ihre Zunge lag wie ein Bündel Stroh in ihrem Mund, und als sie ihre Lippen berührte, entdeckte sie an ihrem Finger einen Tropfen Blut.
Am folgenden Morgen war Wochenmarkt, und Magda verkaufte mehr als an jedem Tag zuvor. Sie legte sich ins Zeug, brüllte und pries ihre Ware, dass die Fischweiber gegen sie zu stillen Waisen verblassten. Jede Kanne, die sie ausschenkte, jeder Auftrag, den sie entgegennahm, sollte ihr den Traum aus dem Gedächtnis jagen: »Bier aus Bernau, bestes Bier aus Bernau! Unser Starkbier haut die stärksten Männer um, unser Dünnbier macht die tugendhaftesten Weiber schwach. Bier aus Bernau, das einzig echte, einzig wahre, im ganzen Reich gefürchtete Bier aus Bernau!«
»Bei dir kauf ich gerne«, sagte der einäugige Kupferschmied, der in den wenigen Tagen schon ihr Stammkunde geworden war, und kniff sie in die Wange. »Viel lieber als bei einer Hübschen. Wenigstens bist du keine von den tödlich Ernsten, sondern auch mal für einen Scherz zu haben.«
Sah man ihr wirklich von dem, was in ihr tobte, nichts an? Ihrem Gefühl nach musste ihr Gesicht einem Totenschädel gleichen. Sie setzte ihr pikantestes Lächeln auf und boxte den Kupferschmied in die Seite, wie es Diethers Art war. »Aber immer, mein Herr. Der passende Scherz zum Bier, und prompt hat der Nachbar die ganze Brühe im Gesicht.«
Der Einäugige lachte. »Du bist richtig, Bierbrauerin. Und du bleibst uns hier am Olden Markt auch erhalten, was? Wanderst nicht zum Marienplatz ab, wo die hingehen, die zu hoch hinauswollen?«
»Gewiss nicht.« Am Marienplatz mochte sie Bechtolt begegnen, und wozu sie dann fähig war, wollte sie lieber nicht wissen. Sie lud ihre Gefäße auf den Karren. Kein Tropfen war übriggeblieben, und in ihrem Beutel klimperten die Münzen. Magda aber fürchtete sich davor, nach Hause zu kommen, und mit jedem Schritt machte die Furcht ihr die Glieder schwer.
Daheim erwartete sie jedoch nicht die gefürchtete Schreckensnachricht, sondern ein Bild des Friedens wie aus vergangenen Tagen. Die ganze Familie, selbst Diether, saß um den gedeckten Tisch versammelt, und es roch nach Großvaters verbranntem Kohl.
»Willkommen, willkommen!« Der Großvater rückte ihr den Stuhl zurecht und stellte eine Schüssel vor sie hin. »Wer so fleißig arbeitet, der soll hinterher gut und reichlich essen.«
»Es tut mir leid, dass ich dir auf dem Markt nicht geholfen habe«, murmelte Utz, während die Übrigen das eingenommene Geld bestaunten. »Ich wünschte, ich wäre nicht so ein Schwächling.«
Und ich wünschte, ihr würdet, wenn ihr mir schon nicht helft, nicht auch noch euer Selbstmitleid über mir ausschütten, rutschte es Magda beinahe heraus, doch sie schluckte die Worte mit einem Bissen Kraut hinunter.
»Ich müsste wohl einen Teil von dem Verdienst dem Juden geben«, murmelte Utz, ohne sie anzusehen, weiter.
»Welchen Teil?«
Umständlich begann er Münzen in seine Hand zu zählen, bis nur noch drei Weißpfennige übrig waren. »Der Zins ist auch fällig. Es tut mir leid, Magda.«
»Nur keine Sorge«, erwiderte sie. »Wir werden schon auskommen, und je schneller wir unsere Schulden abbezahlt haben, desto besser.«
»Aber das Geld von dem verdammten Bechtolt möchte ich doch wiederhaben«, ließ sich Diether vernehmen. »Der Tietz und der Hans sagen auch …«
»Ich verbiete dir, mit fremdem Volk über Dinge zu reden, die nur unsere Familie angehen«, fuhr Utz ihm über den Mund. »Und ich verbiete dir auch, an meinem Tisch zu fluchen.«
»Es ist nicht dein Tisch«, entgegnete Diether schnippisch. »Wenn überhaupt, dann gehört er Magda.«
»Hört auf zu zanken!« Der Großvater hieb mit der Faust auf den Tisch. »Seid ihr Rotzlümmel, braucht ihr was hinter die Ohren? Eure Schwester hat sich für euch krummgelegt, und heute Abend wollen wir feiern. Um sich euer Gezänk anzuhören, stellt sich ein alter Knochen wie ich nicht an den Herd.«
»Also dann, Schwesterchen!« Diether hob seinen Becher, an dem der Bierschaum in Flocken heruntertroff. »Auf dich und unser süffiges Gebräu – und wer von euch allen wagt es nun, mit mir
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