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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hohlbein
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sein, um das aus sich selbst heraus zu wissen. Darum verachtete er sich lieber selbst dafür, dass ein widerborstiger kleiner Teil von ihm trotzdem versuchte, Chita zu verachten. Schlimm genug, dass sie ihn dazu gebracht hatte, an den Göttern zu zweifeln. Noch schlimmer, dass er es beim besten Willen nicht mehr schaffte, diese Zweifel von sich abzustreifen und ein Teil von ihm noch immer erwartete, dass es nun an Ivi lag, den Beweis für seine Existenz selbst zu erbringen.
    Froh wusste nicht mehr, was er denken und fühlen, tun oder lassen sollte. Aber er hatte das sichere Gefühl, dass das Elend seines Verstandes und seines Herzens nicht mehr lange andauern würde. Er würde sterben – dieses Mal wirklich. Aber plötzlich machte ihm dieser Gedanke Angst.
    Obwohl er versucht hatte, die grausige Fischbrühe in sich hineinzuzwingen, war seine Hand schon nach wenigen Löffeln kraftlos hinabgesunken und hatte dafür gesorgt, dass der Rest der stinkenden Plörre in einer Aussparung auf dem Boden versiegte, die mit einem Gitter versehen war, damit niemand hineinfiel. Chita hatte es überhaupt nicht bemerkt, und auch das war zum Ersten widersprüchlich und zum Zweiten ein Beleg für ihren absoluten Mangel an Empathie: Zuerst nötigte sie ihn dazu, sich zu erheben, ihr zu folgen und ihr Essen entgegenzunehmen, weil sie sich vorgeblich um ihn sorgte, und dann bemerkte sie nicht einmal, wie die trübe Brühe gleich zu ihren Füßen durch das Gitter rann, weil ihm die Kraft fehlte, die Schale zu halten. Ebenso wenig fiel ihr auf, dass es ihm jetzt (zumindest körperlich) sogar schlechter ging als vorhin unten in der Hütte, die in dem riesigen Boot versteckt war. Sein Magen schmerzte erbärmlich, und das stetige Donnern, das aus dem ruderlosen Boot dröhnte, versuchte sein Gehirn zu Brei zu zertrampeln. Froh stöhnte leise.
    »Oh, du bist schon fertig«, kommentierte Chita. »Hat es dir geschmeckt?«
    »Wie Okapigedärm«, antwortete Froh und dachte aus irgendeinem Grund daran zurück, wie er das tote Kind hatte bergen wollen, damit sie sich davon ernähren und überleben konnte. Sie hatte ihn einen Primitiven geschimpft (ein Wort, das sie ohnehin viel zu häufig benutzte, was ihn jedes Mal kränkte, obwohl er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen). Dass man ihre Schwester still und heimlich verbrannt hatte, schien ihr hingegen überhaupt nichts auszumachen. Und dabei hatte diese Schändung einzig der Vertuschung eines anderen, noch größeren Verbrechens gedient.
    Wie sollte er das verstehen? Er wollte allein sterben, irgendwo weit weg von ihr und ihresgleichen, um seine Gedanken zu ordnen und damit vielleicht diese neue Furcht zu besiegen; fort von diesem grässlichen, lärmenden Boot und den unfreundlichen Männern in ihren metallenen Kleidern, die sie beide durchweg beobachteten und sich einbildeten, dass sie es nicht merkten. Gut – Chita bemerkte es vielleicht tatsächlich nicht. Sie nahm grundsätzlich nicht viel von ihrer Umgebung wahr.
    Jetzt lachte sie. »Okapigedärm? Das ist eine Delikatesse bei euch, nicht wahr?«, erkundigte sie sich.
    »Wir füttern die Hunde damit«, berichtigte Froh matt.
    »Ach ja – Hunde sind ja vielen Primitiven heilig, soweit ich weiß«, erwiderte Chita, und Froh verzichtete sowohl darauf, beleidigt zu sein, weil sie ihn indirekt schon wieder als Primitiven beschimpft hatte, als auch darauf, ihr zu erklären, dass kein Lebewesen, weder Hund noch Mensch noch Götterfisch, mehr wert war als ein anderes; zumindest nicht nach dem, was er zeitlebens gelernt und geglaubt hatte. Demnach gehörte alles und jeder, ob Mensch, Tier, Pflanze oder Stein, den Göttern und diente ihnen auf mehr oder weniger offensichtliche Weise. Aber auch für lange Ausführungen hatte er einfach nicht mehr die Kraft.
    Apropos: Woher nahm sie diese Kraft eigentlich? Ihre Furcht vor der Realität musste unendlich schwer wiegen, dass sie diese Unmengen von Energie für das endlose Gerede aufbrachte, hinter dem sie sich versteckte. Schwerer sogar als diese hässliche Angst vor dem Sterben. Er musste fort, ehe sie ihm noch mehr von ihrer Wirklichkeit präsentierte. Er würde es nicht aushalten, denn er besaß nicht genug Worte, um sich vor dem Nachdenken zu schützen. Allein das bisschen Wahrheit, das sich ihm in Form des Drachenvogels offenbart hatte, hatte ihn ja schon mit einer Keule aus Verzweiflung auf die Schwelle zum Unglauben geprügelt. Oder sogar darüber hinaus.
    »Wenn man es nicht gewohnt ist,

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