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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hohlbein
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es.
    Oder vielleicht lastete auch ein Fluch auf ihr. Ein Fluch, der sie ausgebleicht hatte und dazu zwang, sich für den Rest ihres Lebens in geschlossenen Räumen, in einer Höhle oder dergleichen aufzuhalten. Vielleicht hatten sie oder ihre Mutter oder ihr Vater einen Fehler begangen, für den die Götter sie straften. Er hatte von Kindern gehört, die mit heller Haut, weißem Haar und roten Augen geboren wurden, und diese Kinder wurden von ihren Eltern auf den Opferfelsen getragen, um ein Zeichen dafür zu setzen, dass sie ihre Fehler verstanden hatten. Sie taten Buße, indem sie ihnen das Herz aus der Brust schnitten. Es war der einzige Fall, in dem es erlaubt war, das Leben eines Menschen absichtlich zu beenden. Und dann …
    Nein. Dafür war sie einfach zu schön. Und ihre Augen waren nicht rot, sondern blau, wie Lapislazuli, wies Froh sich im Stillen zurecht.
    Er wollte mehr von ihr wissen. Er wollte erfahren, wer sie wirklich war.
    »Willst du mir mehr von eurem Fest erzählen?«, bat er darum. »Und von deinem Bruder? Und von deinem Lehrmeister und dem frechen Jungen, den du Cocha nennst?«
    »Soviel ich kann, ehe wir Cypria erreichen«, antwortete Chita. »Um bei mir bleiben zu können, musst du so viel wie möglich über …«
    Sie brach ab, riss die Augen auf und sprang so hastig auf die Füße, dass das kleine Baumboot stark ins Wanken geriet. Froh warf die Ruder ins Boot und beugte sich hastig vor, um nach ihr zu greifen, aber es war schon zu spät: Chita ruderte einen Moment um ihr Gleichgewicht ringend mit den Armen, verlor den Kampf, kippte zur Seite weg und stieß dabei einen Schrei aus, der in einem mächtigen Platschen erstickte, mit dem sie in die Fluten eintauchte.
    Froh hatte seine liebe Mühe, das schwankende Boot wieder unter Kontrolle zu bekommen, damit es sich nicht auf den Kopf stellte. Doch als die schöne Fremde Wasser spuckend und hustend wieder auftauchte, lag es wieder halbwegs ruhig in den Wellen, und er beugte sich zu ihr hinab und wuchtete sie wieder an Bord.
    »Was ist los?«, erkundigte er sich bekümmert, während sie noch immer um Atem rang, wild herumgestikulierte und ein paar halbe Worte hustete. »Was hat dich so erschreckt?«
    »Da!«, schnappte Chita und deutete auf einen Punkt hoch oben im Himmel. »Da … Froh … Sie … Sie …«
    Froh folgte ihrem Fingerzeig und gab einen überraschten Laut von sich, als er erblickte, was sie schon viel früher gesehen hatte: Da schwebte etwas am Himmel.
    Und es war kein Vogel.
    »Sie haben uns … gefunden!«, stieß Chita schwer atmend hervor, riss ihn an den Schultern zu sich herum und drückte ihn so fest an sich, dass die Luft seinen Lungen mit einem hohen Pfeifen entwich. Chita lachte und küsste seine Wange, seine breite Nase, seine Stirn, seinen Mund. »Sie sind da!«, jubilierte sie. »Sie kommen, um uns zu retten, Froh! Ein Mana! Sie sind da, und sie sind nah genug, um uns zu sehen! Wir sind gerettet!«
    Froh wand sich mit sanfter Gewalt aus ihrem Griff, um wieder zu dem Ding zwischen den Wolken aufzublicken. Es musste sehr groß sein, stellte er fest, und er hatte noch nie etwas Vergleichbares gesehen: Es war rund und ritt auf einer Scheibe, die wie eine silberne Sonne am Himmel leuchtete. Aber er hatte davon gehört, und zwar nicht erst von der Fremden.
    Bei ihm zu Hause nannte man es Götterblase.
    Froh lächelte. Ja, sie waren gerettet. Ivi und die anderen gaben ihnen ein Zeichen. Er flüsterte ein Gebet und schob sich an Chita vorbei zu dem prallvollen Fischsack.
    »Jetzt kann es sich nur noch um Stunden handeln«, strahlte Chita und winkte ausgelassen in die Richtung dessen, was sie Mana nannte. »Sie sehen uns durch die Fernschauer. Sie werden umkehren und ein Mani schicken, das uns holt, Froh. Du musst nicht einmal mehr rudern. Sie werden bald hier sein.«
    Froh hob den Sack an und kippte einen Fisch nach dem anderen in die See.
    »Was tust du da?«, wunderte sich Chita.
    »Ich antworte«, antwortete Froh. Er sprach ein weiteres Gebet, während er auch die letzten Vorräte über Bord beförderte.
    Chita beobachtete ihn zweifelnd, erhob aber keinen Einwand.
    »Na ja«, kommentierte sie schließlich gleichgültig, aber mit noch immer strahlenden Augen. »Wir brauchen sie ohnehin nicht mehr. Außerdem hat der Kram gestunken.«
    Froh beschattete die Augen mit der Hand, um zu beobachten, wie die Götterblase in der Ferne zu einer winzigen Kugel auf einer noch kleineren Sonnenscheibe zusammenschrumpfte, während sie sich

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