Das Mädchen aus dem Meer: Roman
nach.
»Ach, scher dich zu den Primitiven«, schnaubte ich und ließ mich widerwillig auf den freien Platz zu seiner Linken plumpsen. Er roch mindestens so angenehm, wie seine Stimme klang. Darum zog ich eine Grimasse und drehte den Kopf weg, beobachtete ihn aber heimlich aus dem Augenwinkel.
»Wenn dein Bruder kommt, stehe ich auf«, erklärte Cocha zynisch und tat dann, als fiele ihm gerade etwas ein. »Ach, was rede ich, entschuldige bitte«, sagte er und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Dein Bruder bleibt ja in Hohenheim.«
Ich fuhr zu ihm herum. »Mein Bruder bleibt bei seinem Lehrmeister. Weil er nicht in Silberfels, sondern im Senat lernt«, spie ich ihm die offizielle Version der Geschichte entgegen. »Weil die Expertenkommission ihm ein außerordentliches strategisches Talent und ein bemerkenswertes motorisches Geschick bescheinigt hat. Er wird zum Heerführer ausgebildet – ganz bestimmt ist er schon bald ein großer Kriegsmeister.«
Cocha rollte die Augen. »Jamachita, kleine Faronin«, seufzte er mit einem geradezu mitleidigen Lächeln, aber ehe ich noch etwas sagen konnte, schüttelte er den Kopf und schnitt mir mit einer Geste das Wort ab. »Es tut mir leid«, entschuldigte er sich und klang dabei erstaunlich ehrlich. »Ich will mich nicht mit dir streiten. Und ich wollte dich auch nicht verletzen, in Ordnung? Ich mag deinen Bruder und hoffe, dass es ihm gut geht. Manchmal bin ich eben ein vorlauter Trampel.«
»Stimmt«, war alles, was mir dazu einfiel. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah wieder weg. Eine kleine Weile, die die Müdigkeit nutzte, um mich wieder voll und ganz in Besitz zu nehmen, sagte niemand etwas. Dann fuhr ich den Piloten an: »Sollten wir nicht langsam abheben?«
»In wenigen Augenblicken«, erklärte der Mann am Steuerpult. »Die Maschine braucht nach jeder Landung eine kleine Weile, um wieder richtig anzulaufen. Wenn dieser Draht hier aufleuchtet, kann ich den Hebel ziehen. Möchtest du dich zwischen uns stellen? Dann kann ich dir alles erklären.«
»Und?«, erkundigte sich Cocha, als der Pilot den Hebel endlich zog, grellweiße Funken an den Fenstern vorbeischossen und den Raum für einen Moment taghell erleuchteten.
»Was und?«, erwiderte ich unwillig.
»Wie geht es Sora denn?«, wollte Cocha wissen. »Zuletzt sah er wirklich gut aus. Ich meine: Gar nicht mehr so, als hätte er irgendeinen …«
»Er. Hat. Keinen. Mangel«, unterbrach ich ihn energisch, wobei ich jedes Wort betonte.
»Entweder das, oder eure Schneiderin polstert seine Kleider auf und bearbeitet sein Gesicht mit Tonpuder, ehe er das Schloss verlässt«, seufzte Cocha schulterzuckend.
Richtig geraten, dachte ich frustriert. Aber ich wollte mich nicht weiter mit ihm unterhalten.
»Ich weiß nicht, ob Moijo oder dein Vater es dir schon gesagt haben«, bemerkte Cocha, während ich aufstand und mich vor eines der ovalen Fenster stellte, obwohl noch immer Funken daran vorbeizogen und ich überhaupt nichts sehen konnte. »Aber wir sollten zumindest versuchen, nett zueinander zu sein. In Silberfels bin ich dein Pate.«
Ich jaulte innerlich auf, reagierte aber nicht auf seine Worte. Ausgerechnet Cocha!, schalt ich mich im Stillen und konzentrierte mich darauf, bloß nicht an dieses warme Kribbeln in meinem Bauch und … Na ja. An dieses seltsame Gefühl hüftabwärts zu denken … Aber das funktionierte natürlich nicht.
Offenkundig war ich tatsächlich im Begriff, mich Hals über Kopf in das erstbeste schlossexterne, geschlechtsreife Männchen zu verknallen, das mir über den Weg lief. Und das musste ausgerechnet Cocha sein!
Und dann sollte er auch noch mein Pate werden! Er würde mir Silberfels zeigen! Bei allen Sternen im Himmel – war das entsetzlich …
… schön?!
Mir schwindelte.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte sich der Ersatzmann in beleidigend desinteressiertem Ton.
»Danke, alles …«
… bestens , hatte ich sagen wollen. Aber in diesem Moment verebbte der Funkengeysier so abrupt, wie er aufgestiegen war, und das Mana hob ab. Es schnellte in den Himmel hinauf wie Lava aus einem explodierenden Vulkan. Hohenheim, unser prachtvolles, riesiges Schloss, schrumpfte unter uns zu einem Schneckenhaus zusammen, und ich verlor den Boden unter den Füßen und kippte hintenüber, obwohl der Steuerraum bei alledem kein bisschen schwankte.
Cocha reagierte geistesgegenwärtig und erstaunlich flink: Er fing mich auf und lenkte mich auf meinen Platz zurück.
»He!«,
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