Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)
wechseln oder die Wunde am geschienten Bein versorgen wollte, stieß er ein leises Knurren aus, und das Futter, das sie ihm hinstellte, rührte er erst an, wenn sie ihm den Rücken zugekehrt hatte. Dann aber fraß er mit unstillbarem Hunger alles in sich hinein, was sich ihm bot: Fisch, geräuchertes Fleisch, ja selbst getrocknete Früchte verschmähte er nicht.
Am Abend setzte sich Reeva oft zu ihm und sprach mit ihm, wie sie es auch mit Graufell tat: „Ich weiß, dass du ein wildes Tier des Waldes bist, und ich bin ein Mensch. Du magst es nicht, wie ich aussehe, wie ich spreche und wie ich rieche.“
Der Fuchs knurrte und begann hartnäckig mit den Zähnen an seinem Verband zu zerren.
„Lass das sein! Hör mir lieber zu. Du wirst bald gesund sein; wenn du Glück hast, noch bevor es richtig kalt wird. Dann kannst du dir einen schönen warmen Bau suchen und musst nicht mehr in der Behausung eines Menschen leben. Aber bis dahin könntest du dich doch an mich gewöhnen, Füchslein.“
Der Fuchs stellte leicht die Ohren auf, legte dann aber wieder den Kopf auf die Vorderpfoten und sah unbeteiligt vor sich hin.
„Auch Graufell hat sich an mich gewöhnt, nachdem sie im Wald scheu geworden war. Hör mir zu, Füchslein!“
Reeva seufzte und warf dem Tier ein Stück geräuchertes Fleisch zu. Erst als sie am anderen Ende der Höhle die Ziege in ihrem Verschlag fütterte, hörte sie, wie der Fuchs es gierig verschlang.
***
Bald konnte der Fuchs sich auf drei Beinen hinkend fortbewegen, war aber noch zu schwach, um in die Freiheit entlassen zu werden. Das verstärkte seine Unruhe nur noch mehr. Auf Schritt und Tritt fühlte sich Reeva nun von seinen bernsteinfarbenen Augen verfolgt, deren Pupillen bei Tageslicht genau wie die einer Katze schmal, in der Dunkelheit aber oval waren.
Auch als sie eines Tages zum Fischfang aufbrach, starrte ihr der Fuchs hinterher. Diesmal dauerte es lange, bis Reeva etwas fing; es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, in der sie mit geschürztem Rock im eisigen Wasser des Flusses stand, den Speer in den klammen Fingern. Endlich stieß sie schnell genug zu, und ein besonders kräftiger Fisch zappelte an der Spitze ihres Speeres. Noch ein letzter Ruck, dann konnte sie ihre Beute aus dem Wasser ziehen. Auf dem Rückweg schmerzten ihre Beine von der Kälte, aber all das hatte sich gelohnt: Schon lange hatte Reeva keinen so prächtigen Fisch mehr erwischt, und sie freute sich auf das abendliche Festmahl.
„Füchslein, sieh nur, was ich mitbringe!“, rief sie vergnügt, als sie in ihre Höhle kroch. „Für dich wird gewiss auch etwas übrig bleiben, dann bist du hoffentlich besser gelaunt!“
Sie hängte den Fisch an einem Haken auf und trocknete sich sorgfältig das nass gespritzte Haar: Auf keinen Fall durfte sie sich erkälten und krank werden, das wusste sie; schwere Krankheit bedeutete in dieser Einsamkeit den sicheren Tod.
Es war noch früh am Abend, also schlüpfte sie erneut nach draußen, um Holz zu hacken. Dabei wurde ihr rasch warm, und der Hunger, der sich bald meldete, trieb sie zu noch mehr Eile an. Schließlich legte sie die Axt beiseite, sammelte die Scheite ein und kehrte zurück in ihre Behausung.
Prasselnd fiel das Holz zu Boden, als sie erkannte, wie es im Innern der Höhle aussah. Der Fisch, auf den sie sich schon den ganzen Abend lang gefreut hatte, lag zerfetzt und fast gänzlich aufgefressen auf der Erde; der Übeltäter lag zufrieden kauend in seinem Winkel und leckte sich die Lefzen.
Die Anstrengung des Nachmittags saß Reeva noch in den Gliedern, und obwohl der Anlass nicht groß war, fühlte sie sich enttäuscht und zornig. „So dankst du es mir, dass ich dich gepflegt habe?“, rief sie aus. „Indem du mich anknurrst und bestiehlst? Ich weiß, es hat keinen Sinn, auf dich böse zu sein, weil du mich nicht verstehst. Aber ich glaube, mit dir kann ich nicht befreundet sein.“
***
Die Genesung des Fuchses schritt nun rasch voran. Einige Tage später, als Reeva ihm den Verband abnahm und den Hinterlauf untersuchte, erkannte sie, dass die Wunde gänzlich verheilt war. Der Knochen war zwar etwas schief zusammengewachsen, und das Tier würde für den Rest seines Lebens ein wenig hinken müssen; doch es würde dennoch wieder für sich selbst sorgen können.
Als Reeva an diesem Morgen aufbrach, um die Fallen im spätherbstlichen Wald abzugehen, ließ sie die Höhlenöffnung unverschlossen. Sie drehte sich nicht nach dem kleinen Wesen um, das noch
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