Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)
immer zusammengerollt auf seinem Lager schlief; zu ihrer eigenen Überraschung fühlte sie sich bedrückt bei dem Gedanken, dass es bei ihrer Rückkehr nicht mehr da sein würde.
In der frühen Dämmerung kehrte Reeva mit einem erlegten Hasen zurück. Obwohl sich nichts daran verändert hatte, kam ihr der Anblick der Höhle seltsam trostlos vor. Wo das Füchslein nun wohl sein mochte? Vielleicht hatte es ja einen verlassenen Dachsbau gefunden und machte sich soeben bereit für die nächtliche Jagd?
Reeva schob sich durch den Höhleneingang und begann sogleich, dem Hasen das Fell abzuziehen – da ließ sie ein hohes Kläffen erschrocken herumfahren: Dort, in seinem dunklen Winkel, saß der Fuchs und klopfte in der Hoffnung auf ein Stück Fleisch mit dem Schwanz auf den Boden!
„Füchslein!“, rief das Mädchen entzückt aus, um gleich darauf erstaunt den Kopf zu schütteln: „Hast du nicht verstanden? Du darfst gehen, du bist gesund! Hast du die ganze Zeit über hier gesessen, obwohl der Höhleneingang offen war?“ Der Fuchs schnappte nach einem Stück Hasenfleisch, zog sich zufrieden zurück und ließ sich durch keine dieser Fragen stören.
Am nächsten Tag band Reeva ihm eine Schur um den Hals und zog das sich sträubende Tier nach draußen. Diesmal würde sie dafür sorgen, dass es auch wirklich ihre Absichten verstand. Ein gutes Stück wanderte sie mit ihm durch den Wald, dann kniete sie sich hin und löste den Knoten der Schnur: „Leb wohl, Füchslein!“
Sie wandte sich um und machte sich auf den Heimweg, ihre Kleidung fröstelnd enger um sich ziehend. Nach ein paar Schritten blickte sie noch ein letztes Mal zum Fuchs zurück: Er saß kerzengerade da, die Bernsteinaugen starr geradeaus gerichtet, und sein grauweißes Brustfell leuchtete durch den dämmrigen Wald.
Von da an blieb der Fuchs tatsächlich fort. Reeva dichtete die Ritzen im Pfostenzaun gegen die immer größer werdende Kälte ab, sie hackte Holz und kochte sich über dem Feuer eine Suppe aus Kräutern und getrockneten Pilzen. Viel konnte sie an einem Tag nun nicht mehr erledigen, denn die Sonne ging erst spät auf, und es wurde schon früh am Nachmittag dunkel. Als die blasse Scheibe hinter dem Wald verschwunden war, bedeckte das Mädchen die Feuerstelle mit Asche und verkroch sich in seinem Lager aus trockenem Laub, fest in ein Fell gewickelt.
Reeva träumte, dass die Höhlendecke verschwunden war und sich über ihr der freie Himmel erstreckte. Schwere, schmutziggraue Wolken hingen tief herab, und plötzlich fing es an zu schneien: Die Flocken landeten auf ihrem Gesicht, kühl und feucht spürte sie die sanften Berührungen auf ihrer Wange.
Reeva schreckte aus dem Schlaf und bewegte benommen den Kopf. Schneite es tatsächlich, und fühlte sie die Flocken auf ihrem Gesicht? Verwirrt rieb sie sich die Augen, eine Hand fuhr zu ihrer Wange – da spürte sie etwas Weiches, Pelziges, und gleich darauf hörte sie ein leises Kläffen. Als sie sich auf den Rücken drehte, sah sie das Gesicht des Fuchses mit seinen weiß gefärbten Seiten und der schwarzen, feuchten Schnauze, mit der er sie immer wieder anstupste.
Er war zurückgekommen; von diesem Augenblick an nannte Reeva ihn Ramo.
***
Reevas Traum vom Schnee sollte bald Wirklichkeit werden. Lange schon hatte sie sich darauf vorbereitet, dass mit dem längst fälligen ersten Schnee endlich der Winter kam, und als sie eines Morgens erwachte, war die Höhle von einem gelblichen Dämmerlicht erfüllt. Sie schob den Felsbrocken ein Stück zur Seite und spähte nach draußen, in eine Welt, die ihr völlig fremd erschien: Alles bestand nur noch aus weichen, undeutlichen Formen, und die dicken Schneeflocken wirbelten so wild umher, dass dem Mädchen beim Zusehen schwindlig wurde.
Der Winter war hereingebrochen, doch die Angst, die Reeva während des ganzen Herbstes verspürt hatte, schien verschwunden zu sein. Auch als am Vormittag ein Sturm aufzog, der die schwachen Sonnenstrahlen endgültig auslöschte, fürchtete sie sich nicht. Sollte der Schneesturm nur um ihre Höhle heulen: Sie war in Sicherheit, hatte für genügend Vorräte gesorgt und besaß reichlich Feuerholz.
Zufrieden rollte sich Reeva wieder auf ihrem Lager zusammen, den Fuchs Ramo dicht an ihrer Seite. Sie wusste nicht, wie viel Zeit verging, ob es Tag war oder Nacht. Draußen tobte immer noch der Sturm, und sie verließ ihre warme Schlafstätte nur, um Holz nachzulegen, ihre Notdurft zu verrichten, etwas zu essen oder
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