Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)
und Reeva bekam Lust, sich in dem kühlen Nass zu waschen. Sie wagte nicht, ihre Kleider abzulegen – schließlich wusste sie Jacob und den Fährmann ganz in ihrer Nähe. Doch sie kniete sich hin und benetzte erst ihre Arme, dann ihr Haar mit dem klaren Wasser; dabei malte sie sich aus, dass der Fluss mit ihren langen Locken gespielt hätte wie mit den Zweigen der Weide. Als sie sich vorbeugte, um noch mehr Wasser in ihre hohle Hand zu schöpfen, rutschte die Kette aus ihrem Halsausschnitt; der Stein leuchtete in der Farbe von dunklem Moos.
Wenig später fand Jacob sie, wie sie an den Stamm der Trauerweide gelehnt dasaß. Fast schien es, als ob die herabhängenden Zweige sie vor den Blicken anderer beschützen wollten.
„Ich bin mir mit dem Fährmann einig geworden“, erzählte er, während er einige Zweige beiseiteschob und in ihre kleine, lichtgrüne Welt eindrang. „Wir müssen Pferd und Wagen zurücklassen, dafür bringt er uns über den Fluss, zahlt einige Münzen und beschafft dir Männerkleidung. Da dein Haar so kurz ist, wird es besser sein, wenn du als Junge reist – und es hält dir vielleicht auch die Männer des Königs vom Leib.“
Reeva sagte nichts. Ihre Augen folgten dem strömenden Wasser, das stetig auf sein Ziel zulief. Jetzt erst bemerkte Jacob, was sie in ihrer Faust umschlossen hielt – zwischen ihren Fingern blitzte es grün und golden. Da verstummte auch er und setzte sich schweigend neben das Mädchen.
„Ich wollte sie fortwerfen“, sagte Reeva schließlich, und ihre Stimme klang dünn. „Einfach in den Fluss.“ Ihre Finger spielten mit dem geschliffenen Stein. „Weißt du, dass die Weide eine gute Heilpflanze ist?“, fragte sie dann plötzlich mit hastigen Worten. „Aus der Rinde kann man einen Tee kochen, der wunderbar gegen Fieber hilft, und gegen Schmerzen.“
„Ja, das wusste ich“, erwiderte Jacob ruhig. „Komm schon, Reeva. Lassen wir den Fährmann nicht so lange warten.“
***
Zwei Bauernburschen kamen zur Mittagsstunde in das Dorf, das nahe an der Landesgrenze lag. Beide trugen sie das übliche Gewand der einfachen Leute und Bauern: kurze grobe Kittel, gegürtet mit einem Hanfstrick, und dazu Beinkleider aus grauem Leinenstoff. Der jüngere der Burschen hatte eine Ledermütze tief in die Stirn gezogen, sodass sein Gesicht im Schatten lag.
So sahen es die Dorfbewohner, als Jacob und Reeva nach einer langen Wanderung endlich die Grenze erreicht hatten. Die Sonne hatte schon genug Kraft, um Reeva zum Schwitzen zu bringen; doch sie wagte nicht, ihre Mütze abzunehmen, weil diese Tarnung und Schutz bedeutete. Dankbar ließ sie sich auf die Bank vor einem Wirtshaus fallen und streckte die schmerzenden Beine.
„Ruh dich eine Weile aus“, meinte Jacob, der offenbar niemals müde wurde. „Ich sehe mich inzwischen nach einer Arbeit um. Das wenige, was uns der Fährmann bezahlt hat, haben wir schon für Essen ausgegeben, und ich möchte frischen Proviant besorgen, bevor wir die Grenze überqueren.“
Reeva nickte ihm bloß zu und lehnte sich gegen die Hauswand; sie war zu erschöpft, um ihm ihre Hilfe anzubieten. Ihre Reise zu Fuß war zwar mühsam gewesen, aber dafür gefahrlos verlaufen: Kein einziges Mal waren sie von den Männern des Königs angehalten worden, und nun, da sie das Nachbarland fast erreicht hatten, fühlte sich das Mädchen beinahe sicher. Es schloss die Augen und ließ sein Gesicht von der Sonne wärmen, die vom bevorstehenden Sommer zu erzählen schien.
Plötzlich hörte Reeva sich nähernde Schritte. Jemand berührte sie an der Schulter – eigentlich war es eher ein Stoß –, sodass sie sich zwang, ihre schweren Lider zu heben.
Es waren vier Männer, die sich da in einem kleinen Halbkreis um sie versammelt hatten und sie neugierig musterten. Einer von ihnen, es musste derselbe sein, der ihr den Stoß versetzt hatte, trat vor und grinste über sein ganzes stoppelbärtiges Gesicht.
„Wen haben wir denn da?“, rief er in gespielter Überraschung aus und beugte sich zu Reeva hinunter. „Einen müden Fremdling? Wo ist denn deine Mutter, mein Kleiner?“
Die anderen feixten und warteten wohl auf eine wütende Antwort, doch Reeva erwiderte stumm ihre spöttischen Blicke. Eine Handvoll Männer, die sich langweilten und einen harmlosen Spaß treiben wollten, das war alles – sie wusste das, konnte aber dennoch nicht verhindern, dass Unruhe in ihr aufstieg.
„Gesprächig scheinst du ja nicht gerade zu sein“, fuhr der Stoppelbärtige
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