Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kira Gembri
Vom Netzwerk:
fort. „Oder hast du etwa deine Zunge verschluckt? Lass mal sehen.“
    Er streckte seine große Hand nach ihrem Gesicht aus, und Reeva zuckte zurück, was von den Männern mit lautem Gelächter quittiert wurde. „Der Milchbart hat Angst, wenn das kein Spaß ist! Na los, Kleiner, wehr dich doch!“, versuchte er sie zu reizen und wirkte enttäuscht, als Reeva weiterhin verbissen schwieg. „Welcher Junge würde so etwas still über sich ergehen lassen?“, wandte sich der Mann nun stirnrunzelnd an seine Gefährten.
    „Vielleicht ist er stumm“, schlug einer von ihnen vor.
    „Oder etwas anderes stimmt nicht mit ihm“, meinte ein Zweiter und machte eine Geste vor seiner Stirn, die Schwachsinn andeuten sollte. Wieder dieses schreckliche Gelächter.
    Dann, endlich, teilte sich die Mauer aus Menschenleibern vor Reeva, und Jacob drängte sich zwischen den Männern hindurch. Er machte den Mund auf, als wollte er ihren Namen rufen, doch in letzter Sekunde schluckte er das Wort hinunter. Stattdessen fuhr er die grinsenden Männer an: „Lasst den Jungen in Ruhe, habt ihr verstanden?“
    „Hört, hört, er beschützt den kleinen Schwachkopf“, höhnte der Stoppelbärtige, doch er wurde unterbrochen:
    „Schweig! Er ist mein Bruder.“
    Das Gelächter der Männer verstummte, sie machten große Augen. Schließlich murmelte einer von ihnen fast entschuldigend: „Schon gut, das konnten wir ja nicht ahnen. Wie er so still dasaß, wirkte er nun einmal, als wäre er nicht ganz richtig im Kopf.“
    „Er redet eben nicht gern. Seid gefälligst anständig zu ihm!“, sagte Jacob fest und legte Reeva als geschwisterliche Geste den Arm um die Schultern. Erst nachdem sich die Männer zerstreut hatten, nahm er ihn wieder herunter.
     
    ***
     
    Jacob hatte Arbeit auf dem Feld eines Bauern gefunden. Das Mädchen bot an, ihm dabei zu helfen, doch er wehrte ab: „Bleib du ruhig im Dorf – du siehst in letzter Zeit ohnehin so aus wie ein verhungertes Vögelchen.“
    „Aber ich bin stark!“, protestierte Reeva, während sie sich kerzengerade aufrichtete.
    „Natürlich bist du das“, grinste Jacob und gab ihr einen freundlichen kleinen Schubs. „Das weiß ich doch, Reeva.“
    Er blieb den ganzen Tag über fort, und Reeva pflegte bis zu seiner Rückkehr auf der kleinen Bank vor dem Wirtshaus zu sitzen. Manchmal kamen die Männer vorbei, die sie nach ihrer Ankunft verhöhnt hatten, doch keiner von ihnen wandte erneut ein böses Wort gegen sie. In den langen Stunden des Wartens leistete ihr oft eine magere Katze Gesellschaft, die sich neben Reeva auf der Bank zusammenrollte und bereitwillig an der Kehle kraulen ließ.
    Doch an jenem Abend, an dem sich Jacob verspätete, hatte sie sich längst auf Mäusejagd begeben und Reeva allein zurückgelassen. Es war bereits dunkel; durch die Fenster des Wirtshauses drangen Licht und laute Stimmen zu ihr nach draußen. Auf einmal beugte sich jemand aus dem Fenster direkt neben ihr und rief ihr zu: „Nun, was ist mit dir – wartest du auf dein Mädchen?“
    Es war der Stoppelbärtige. Reeva drehte den Kopf weg und starrte in die Finsternis, doch er ließ nicht locker. „Komm schon“, drängte er, „vergiss doch diese alten Geschichten. Welcher Junge würde zu einem guten Schluck nein sagen?“
    Ihr blieb keine andere Wahl, das wusste sie. Zögernd erhob sich Reeva und öffnete die Tür; ein Schwall von Wärme und abgestandener Luft schlug ihr entgegen. Dann war der Stoppelbärtige auch schon neben ihr und führte sie zu einem grob gezimmerten Tisch, an dem bereits seine Freunde saßen und sie mit lautem Johlen begrüßten.
    „Ist es dir doch gelungen, den Grünschnabel hereinzulocken?“, spöttelte einer von ihnen und drückte Reeva auf die Bank nieder. Wie aus dem Nichts tauchte ein randvoller Krug vor ihr auf; irgendjemand ermunterte sie: „Trink, Junge, und beweise uns, dass du schon ein richtiger Mann bist!“
    Reeva zwang sich zu einem scheuen Lächeln, ehe sie den Becher an ihre Lippen setzte. Brennend strömte ihr das unbekannte Getränk die Kehle hinab und hinterließ eine angenehme Wärme. Die Männer prosteten ihr lachend zu, dann stürzten sie den Inhalt ihrer eigenen Krüge herunter. Flüssigkeit schwappte auf den Tisch, und Reeva beobachtete, wie einem von ihnen ein dünnes Rinnsal aus dem Mundwinkel floss.
    „Mehr! Ich gebe einen aus.“ „Das ist ein Wort! Mehr, mehr!“
    Schon stand ein weiterer Becher vor Reeva, wieder wurde sie zum Trinken aufgefordert. Diesmal

Weitere Kostenlose Bücher