Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)
zögerte sie nicht lange und genoss die Wärme, die sich in ihrem Bauch weiter ausbreitete. Allmählich vermengten sich die Gespräche um sie herum zu einem undeutlichen Gemurmel. Reeva sah, dass ihr der Stoppelbärtige etwas zurief, und sie gab ein schrilles Lachen von sich, über das sie selbst erschrak. Die Stirnen der Männer glänzten, und auch sie begann nun zu schwitzen – es war so heiß in der Schenke, warum war es nur so heiß?
„Junge? Hörst du mir überhaupt zu?“, drang eine Stimme zu ihr hindurch. Die Gestalt des Stoppelbärtigen verschwamm vor ihren Augen, alles an ihm schien sich zu verdoppeln: „He, Kleiner!“, rief er mit seinen beiden Mündern. Reeva kicherte. Sie bekam einen Schluckauf und musste immer mehr lachen; erstaunt bemerkte sie, dass sie nicht mehr damit aufhören konnte.
„Ich glaube, der Milchbart muss mal an die frische Luft“, hörte sie dumpf einen der Männer sagen. „Seht euch das schmächtige Bürschlein doch an – so eine halbe Portion verträgt eben nicht viel.“
Jemand zog sie auf die Beine; halbherzig versuchte sie sich zu wehren, doch eine starke Hand hielt sie fest und zerrte sie durch das Gedränge ins Freie.
Die plötzliche Kälte ließ sie erschauern. Zitternd tastete sie nach ihrem Umhang, bis ihr einfiel, dass sie die Jungenkleidung trug, welche ihr der Fährmann beschafft hatte. Jacob hatte das mit ihm ausgehandelt; doch wo steckte Jacob bloß? Sie wandte den Kopf, aber der Mann neben ihr war nicht der Stallbursche: Es war der Stoppelbärtige, der ihren Arm umklammert hielt, und neben ihm stand einer seiner Freunde. Wie merkwürdig; und merkwürdig war es auch, dass er sie vom Wirtshaus fortschleppte und in eine schmale Gasse drängte. Sie wollte ihm sagen, dass sie doch auf Jacob warten musste, dort auf der kleinen Bank, doch es drang nur unverständliches Gestammel aus ihrem Mund.
Reeva schwankte. „Ja, komm nur, stütz dich auf mich“, hörte sie den Stoppelbärtigen sagen, doch die Worte wollten nicht zu seinem Tonfall passen. Verwirrt machte Reeva Anstalten, einen Schritt zurückzutreten, doch ihre Beine waren weich, und sie wurde immer noch von dem Mann festgehalten. Jetzt streckte er eine Hand aus und fuhr damit die Linien ihres Gesichtes nach. Leise sagte er:
„Welch fein geschnittene Züge für einen Knaben … Nein, dreh nicht den Kopf weg, sei nicht so scheu. Kann sein, dass ich hinter dein hübsches Geheimnis gekommen bin, doch du brauchst keine Angst zu haben. Wie könnte ich einer Dame wie dir nur etwas Böses wollen?“ Der Stoppelbärtige zog ihr die Mütze vom Kopf und warf sie zu Boden; seine Stimme veränderte sich.
„Aber was mag das nur für ein Mädchen sein, mit grob gestutztem Haar? Bestimmt kein ordentliches, sauberes, das brav zu Hause bei seinen Eltern geblieben ist? Solltest du nicht Gelb tragen, damit man gleich erkennt, was du bist?“
Er und sein Freund begannen sich nun immer schneller um Reeva zu drehen. Ihre Beine knickten unter dem Gewicht ihres Körpers ein, und sie wäre gestürzt, hätte der Kumpan des Stoppelbärtigen sie nicht hochgezogen. Grob drehte er ihr die Arme auf den Rücken, sodass sie vor Schmerz aufkeuchte und die Gefahr endlich erkannte.
„Nein, nein.“ Es kostete sie Mühe, das Wort zu formen. „Bitte nicht!“
„Was ist denn, kleine Hure?“ Sie spürte den Atem des Mannes heiß in ihrem Gesicht, viel zu nahe stand er nun vor ihr. „Auf einmal so schüchtern, so keusch? Aber ich lasse mich nicht hinters Licht führen. Und wag es ja nicht, zu schreien.“
Plötzlich zerrten seine Hände an ihrem Kittel, rissen ihn auf, vom Hals bis zum Bauchnabel, und sie spürte die harten Finger auf ihrer Haut. Danach war da ein heftiges Ziehen um ihren Hals, das von einem Ruck abgelöst wurde.
Der Stoppelbärtige ließ die Kette des Prinzen vor ihren Augen tanzen. „Welch glücklicher Tag“, zischte er ihr ins Ohr, „gleich zwei so wundervolle Schätze auf einmal zu erwischen. Möchtest du dich nicht für mich freuen?“ Grün. Grün wie dunkles Moos …
Unvermittelt lockerte sich der Griff um ihre Arme, und sie stürzte in den Schmutz der Straße. Jacob stand wie angewurzelt ein paar Schritte entfernt; seine Augen hatten die Situation noch nicht vollständig erfasst, doch er fuhr die Männer an: „Was tut ihr da! Nehmt die Hände von meinem kleinen Bruder!“
Grölendes Gelächter war die Antwort, der Stoppelbärtige wiederholte höhnisch: „Dein kleiner Bruder, ja? Scheint mir so gar
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