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Das Mädchen aus der Pearl Street

Das Mädchen aus der Pearl Street

Titel: Das Mädchen aus der Pearl Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman Butters
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meine, heute abend, neee, gestern abend--frischfröhlich aus dem Bett gesprungen, voll Eifer und Tatendrang für diese eure Arbeit?“
    Seine Depression war so echt, daß Kitty nun endlich erkannte, daß sie keineswegs ängstlich darauf bedacht sein mußte, einen guten Eindruck zu machen, sondern daß sie sich den beiden gegenüber ganz natürlich geben konnte. Sie lächelte erleichtert.
    „Ob wir uns je an diese Schinderei gewöhnen werden?“ zweifelte sie, „ob unsere Füße einmal wieder weniger als zehn Tonnen wiegen?“
    „Ihnen geht’s also auch so?“ grinste Dean.
    „Neee, Kinder, ernsthaft!“ schimpfte Piccolo weiter, „ich bin den ganzen Tag über von einem Schlafzimmer ins nächste geflüchtet. Zuerst störte mich der Briefträger. Dann brachte meine kleine Schwester eine ganze Herde schnatternder Freundinnen daher! Ein Hausierer schrie sich die Lunge aus dem Hals und bimmelte und bimmelte, während meine Mutter im Garten Wäsche aufhängte und ihm folglich nicht aufmachen konnte. Dann knallten Türen zu, das Telefon ließ sich nicht abstellen --ein Schlafzimmer war zu laut, das nächste zu heiß, das dritte lag zu nah an der Haustür samt Klingel, das vierte vereinigte sämtliche Untugenden der andern, und als ich so durchs ganze Haus gewandert war, mußte ich schließlich aufstehen. Kann mich übrigens jemand darüber aufklären, wann wir welche Mahlzeiten zu uns nehmen?“
    „Zu Mittag wird um zwei Uhr morgens gegessen, wie eben jetzt!“ belehrte ihn Kitty.
    „Aber wir frühstücken doch frühmorgens nach der Arbeit, und logischerweise speist der normale Mensch dann zu Mittag --, aber wir? Welch ein Durcheinander!“ seufzte Piccolo.
    „Na, wie’s auch sei, noch eine Kur in dieser Tretmühle morgen“, tröstete ihn Dean, „dann ist Samstag, und wir haben einen Tag frei--das heißt eine Nacht--na ja, auf jeden Fall 48 Stunden lang Ruhe!“
    Kitty hätte die Klingel verwünschen mögen, weil sie viel zu früh zu bimmeln begann. Die drei mußten wieder zur Arbeit antreten, ob es ihnen gefiel oder nicht.
    „Vergessen Sie nicht, daß wir Sie heute nach Hause bringen“, rief Dean ihr noch zu, „um sechs Uhr an der Kontrolluhr, okay?“ Kitty warf ihr Butterbrotpapier in die Abfalltonne und kehrte auch heute wieder trällernd zu ihrem Platz zurück. Während sie die hungrigen Mäuler ihrer sechs feurigen Untiere erneut zu füllen begann, wurde ihr klar, daß sie langsam anfing, Dean Tracy mit anderen Augen zu betrachten als bisher. Er war nicht länger mehr ein Traum, eine Art Mythos, ein unerreichbares Idol. Mit Piccolo als Ausgleich zwischen ihnen waren sie im Begriff, Freunde zu werden. Es war ein wunderbares Gefühl, sich anerkannt zu wissen. Was auch immer geschehen mochte, diese Befriedigung konnte ihr nichts und niemand mehr rauben.
    Um Viertel vor sechs Uhr früh war der Dienst beendet. Die Maschinen wurden abgestellt, und man füllte nun seinen Arbeitsbogen aus. Kitty war sehr beeindruckt von der Methode, wie jedes einzelne Stück, das sie während der Nacht zustande gebracht hatte, auf diesem Papier erschien und gezählt wurde. Jeder Ladung wurde eine Probe entnommen und über die Maschine in einen besonders konstruierten Behälter geworfen, während der Rest in einen anderen Saal befördert wurde, um dort überprüft und schließlich der Auslieferung zugeführt zu werden. Die einbehaltene Probe aber galt als Beweis dafür, was Kitty geleistet hatte, und um Viertel vor sechs konnte sie mit ihrer Aufrechnung beginnen. Zu ihrer Überraschung wurde ihr bewußt, daß sie in der einen Presse allein 640 Knöpfe produziert hatte und gar 700 in der anderen.
    „Sehr, sehr gut“, lobte Al und schaute ihr über die Schulter, aber gleich dämpfte er ihren Triumph mit der Bemerkung: „Morgen kriegen Sie dann eine neue Form!“
    „Eine neue--was?“
    „Eine ihrer Maschinen wird auf eine andere Produktion umgestellt. Diese Knöpfe hier sind für Fernsehapparate bestimmt, und wir haben mit heute unsere Quote erfüllt. Von morgen ab werden Sie etwas anderes fabrizieren, Kitty.“
    „Ach, und jetzt hatte ich mich gerade so schön an die Dinger gewöhnt“, jammerte sie.
    Er klopfte ihr verständnisvoll auf die Schulter. „So geht’s hier leider“, sagte er.
    Die Glocke ertönte, und Kitty konnte entfliehen. Sie hatte die zweite Nacht überstanden, eine Tatsache, die ihr wie ein Wunder vorkam. Keine einzige weitere Minute wollte sie nun mehr hier verbringen--bis heute abend. Sie war völlig

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