Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen aus der Pearl Street

Das Mädchen aus der Pearl Street

Titel: Das Mädchen aus der Pearl Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman Butters
Vom Netzwerk:
während die Schlange der Arbeiter sich nach vorn bewegte, hörte man das Klicken, mit dem die Kontrolluhr die Anwesenheitskarten abstempelte. Kitty mußte sich nun von Dean trennen und in den Seitengang einbiegen, wo ihre Foltermaschinen auf sie warteten, während Dean sich zu den seinen begab. Der Vorarbeiter Al lächelte ihr freundlich zu und sagte:
    „Fein, daß Sie wieder da sind! Ich war nicht ganz sicher, ob Sie noch einmal kommen würden...“
    „Ich bin da!“ erwiderte sie grimmig.
    „Im Ernst“, redete er weiter, „ich war heute früh etwas besorgt um Sie. Sie sahen aus, als würden Sie jeden Augenblick ohnmächtig. Strengen Sie sich heute nicht gar so an! In den ersten Wochen kriegen Sie ohnedies den gleichen Lohn, ob sie schnell oder langsam liefern. Setzen Sie sich ab und zu einmal hin, und ruhen Sie sich aus--, ich werde jedesmal wegschauen.“
    Er grinste kameradschaftlich, und sie war ihm dankbar dafür.
    „Netter Kerl, wie?“ rief ihr Mrs. Janeway zu, als er außer Hörweite war, „der menschlichste Vorarbeiter im ganzen Werk!“
    „Ja, er ist wirklich sehr freundlich“, stimmte Kitty zu, „wie heißt er übrigens mit Nachnamen? Ich weiß nicht, ob ich ihn einfach mit ,Al‘ anreden darf?“
    „Aber natürlich! Liebe Zeit! Im Gegenteil! Er mag das offizielle Getue überhaupt nicht und wäre höchstens noch beleidigt, wenn Sie ihm mit ,Mr. Soundso’ kämen. Albert St. John wäre übrigens die ganze Litanei. — Sie müßten einmal seine beiden Kinder sehen--zum Anbeißen, sage ich Ihnen!“
    Kitty nickte und wandte sich ihren Maschinen zu. Ungeheuer, dachte sie, Drachen, die feindselig Feuer gegen sie ausspien! Die roten Signallampen brannten und zeigten an, daß jedes einzelne Monstrum gefüttert zu werden verlangte. Wie oft würde sie wohl diese glühenden Rachen füllen, ehe endlich der Morgen sie erlöste? Entsetzlicher Gedanke! Entsetzlich und nutzlos! Resigniert machte sie sich an die Arbeit.
    Diesmal begann sie mit der Presse, die nach einer Art synthetischem Weizenschrotbiskuit hungerte. Zehn Minuten später hatte sie das Zeug bereits zu marmorierten Gebilden verdaut, die in der Form Schuhsohlen zu gleichen begannen. Dann kam die Maschine, die sich auf die Verwandlung der dunkelgrauen Pillen zu glänzenden Knöpfen verstand, und gleich darauf maß Kitty dann wieder zum soundsovielten Male den „Wunderstaub“ in die Waagschalen der nächsten und drehte gewissenhaft die vier Schrauben fest. Routine, Routine, Routine! Eine weitere arbeitete mit orangefarbenen Pillen und nur zwei Schrauben, und als Resultat kamen höchst farbenprächtige Scheibchen zum Vorschein, deren Zweck sie sich allerdings nicht vorstellen konnte. Gestern hatte sie eine ganze Ladung davon verdorben, weil sie die Schrauben krumm eingedreht hatte. Die sechste und letzte Presse war am leichtesten zu bedienen, denn sie produzierte einfache Knöpfe, die man mit einer Art Rechen in Maschendrahtkörbe zu kehren hatte. Dafür brachten sie später bei der Stückarbeit aber auch weniger Geld ein, wie Mrs. Janeway Kitty aufmerksam machte.
    Mit der Zeit begann jede der Maschinen eine gewisse eigene Persönlichkeit zu werden. Kitty bewegte sich schneller in dieser Nacht als in der vergangenen, und die Uhr schien es ihr gleichzutun. Als um Mitternacht der Kaffeejunge mit seinem Handwagen voll dampfender Pappbecher die Runde machte, setzte Kitty sich ein paar Minuten lang auf die Stufe neben ihren „Pflegebefohlenen“, schlürfte ihren Kaffee und verschnaufte sich. In der Zeit, die dann noch bis zur Pause überstanden werden mußte, fühlte sie in sich eine neue Zuversicht aufkeimen und wachsen, die ihr versprechen zu wollen schien, daß sie diesen Posten doch werde durchhalten können, und als sie dann endlich in die Kantine humpeln durfte, wartete dort Dean auf sie und wog alle Mühe und Anstrengung tausendfach auf.
    Er und Piccolo hatten heute offensichtlich mit ihr gerechnet, denn sie hatten ihr einen Stuhl reserviert. Die Begrüßung war dafür weniger stürmisch als gestern.
    „Servus“, hauchte Piccolo willenlos.
    „Mir scheint, auch sie hinkt“, stellte Dean fest, „nicht wahr, Kitty?“
    „Jawoll! Ich fühle mich wie einen Tag vorm hundertsten Geburtstag“, versuchte Kitty über ihre geschwollenen Knöchel zu scherzen.
    Piccolo betrachtete sie mitleidig. Ihm war nicht zum Lachen zumute. „Ist es nicht gräßlich“, suchte er Zustimmung bei den beiden Leidensgenossen. „Seid ihr heute morgen —, ich

Weitere Kostenlose Bücher