Das Mädchen aus Mantua
hockte aufrecht im Bett und klagte über Blähungen.
»So schlimm war es noch nie«, sagte sie.
»Was hast du heute gegessen?«
»Am Morgen etwas weißes Brot, dazu Honig und zwei Scheiben gebackenen Schinken. Später ein Stück Pastete, gefüllt mit heller Mandelcreme. Vom Mittagessen nahm ich nur eine winzige Portion zu mir, kaum zwei Löffel voll.« Wehleidig fügte sie hinzu: »Wenn du regelmäßig mit uns speisen würdest, wüsstest du das.«
»Ich hatte im Spital zu tun.«
Das war in diesem Fall die reine Wahrheit. Zwei der Pfleger waren erkrankt, folglich hatte Celestina auf Bitten von Frater Silvano nach den Vorlesungen die Männerkleidung anbehalten und den Mittag über im Krankensaal ausgeholfen. Die Arbeit hatte ihr Freude gemacht, weshalb es kein Opfer bedeutete. Danach war sie gerade noch rechtzeitig heimgekehrt, um ihre Cousine zur Schneiderin zu begleiten.
»In Wahrheit waren es zwei Teller voll«, sagte Großtante Immaculata.
»Zwei Teller wovon?«, fragte Celestina.
»Bohnen«, antwortete die Alte.
»Sie waren ganz zart und in Butter gedünstet!«, rief Marta. »Wer konnte ahnen, dass sie solches Unheil anrichten! Es zerreißt mich innerlich, das spüre ich genau! Ich fürchte, ich brauche wieder ein Klistier!« Wie zur Bekräftigung ertönten unter ihrer Bettdecke knatternde Geräusche.
Celestina seufzte. In ihre Bücher würde sie an diesem Tag wohl keinen Blick mehr werfen können.
Am selben Tag
»Ich muss bald heim«, sagte Arcangela. »Es hat schon zur Vesper geläutet. Sie werden sich fragen, wo ich bleibe.« »Haben sie sich das je gefragt?« Vitale, der neben ihr lag, zupfte spielerisch an ihren Locken, die im einfallenden Sonnenlicht wie brennendes Kupfer leuchteten.
»Bislang noch nicht«, räumte Arcangela ein.
»Da siehst du es. Ihnen ist es herzlich gleichgültig, ob du mit ihnen am Tisch sitzt oder nicht. Du könntest unter die Räuber fallen und verschleppt werden – sie würden es nicht einmal merken.«
»Da könnte was dran sein. Marta wäre es sowieso lieber gewesen, wenn ich in Mantua geblieben wäre. Wert legt sie nur auf die Anwesenheit von Celestina.«
»Ist es schlimm für dich, dass deine Tante deine Schwester mehr mag als dich?«
Arcangela lachte. »Wer redet von mögen ? Marta braucht einen kostenlosen Arzt, und das möglichst Tag und Nacht. Mit verwandtschaftlicher Zuneigung hat das nicht das Geringste zu tun.«
»Da wir gerade von Verwandtschaft reden – du hast mir nie gesagt, dass du einen Stiefbruder hast.« Vitale hob eine Handvoll Haare von ihrer nackten Brust und begann, an einer besonders sensiblen Stelle ihrer Haut zu knabbern.
Arcangela zuckte zusammen. »Äh … wirklich?«
»Ja, und dabei dachte ich, wir hätten einander alles Wichtige über uns erzählt.«
Arcangela fand es angeraten, das Thema zu wechseln. »Eigentlich erzählen wir uns schon beinahe zu viel. Vor allem, was deine verstorbene Frau betrifft. Du redest so oft über sie, dass es mir zu den Ohren herauskommt.«
Betroffen hob er den Kopf von ihrem Busen. »Tatsächlich? Wann denn?«
»Eigentlich immer. Du sagst ständig, wie unglücklich deine Ehe war und wie sehr du dich nach einer liebenden Frau sehnst, die dein Leben teilt. Danach fragst du mich jedes Mal, wann wir heiraten.«
»Oh«, sagte er
Sie nickte. »Vielleicht reden wir einfach weniger über deine verstorbene Frau und deine unglückliche Ehe. Die Toten soll man ruhen lassen.«
»Aber dein Stiefbruder Marino ist nicht tot.«
»Wie hast du von ihm erfahren?«, fragte Arcangela vorsichtig.
»Ich sah ihn im Spital. Er war gerade im Gehen begriffen und bemerkte mich daher nicht, aber die Ähnlichkeit mit deiner Schwester Celestina war derart verblüffend, dass ich Frater Silvano darauf ansprach. Er wusste zu berichten, dass der junge Mann tatsächlich Celestinas Bruder ist. Er sei eine Weile nach euch in Padua eingetroffen und habe sich als Student der Medizin an der Universität eingeschrieben, sagte der Mönch. Wieso hast du mir nichts davon erzählt?«
»Ich hab’s vergessen. Außerdem ist er nur mein Stiefbruder. Bis auf die letzten Wochen hatte ich eigentlich nie mit ihm zu tun. Was hattest du im Spital verloren?«
»Wie du weißt, stelle ich Untersuchungen wegen der Anatomie-Leichen an.«
Alarmiert richtete Arcangela sich auf. »Du sagtest, du wolltest ermitteln, sofern dein Dienstherr dem zustimmt.«
»Das tat er. Folglich ermittle ich schon seit einer Weile.«
»Wieso erfahre ich das erst
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