Das Mädchen aus Mantua
Gutes. Es schien, als warte er nur darauf, dass sie sein Ansinnen endgültig zurückwies, damit er auf sein ursprüngliches Vorhaben zurückkommen und ihr weiter wegen Chiara zusetzen konnte.
Einige Augenblicke rang sie mit sich, doch dann fügten sich einzelne Gedankenfetzen zu einer Entscheidung zusammen. Ein Stelldichein mit Timoteo Caliari war kein Weltuntergang. Zumindest eröffnete es ihr die Möglichkeit, in Ruhe mit ihm zu sprechen und mäßigend auf seinen jugendlichen Überschwang einzuwirken. Schließlich hatte sie ihm einige Lebenserfahrung voraus. Sie war älter als er. Nun, zugegebenermaßen nicht viel, aber doch anderthalb entscheidende Jahre, und sie hatte eine Ehe hinter sich, wohingegen er im Umgang mit dem anderen Geschlecht ein grüner Junge war. In einem ausführlichen Gespräch konnte sie ihm mit durchdachten Worten erklären, dass seine naive Verliebtheit in ihre Cousine nichts weiter war als eine vorübergehende Verwirrung. Und zugleich konnte sie ihm begreiflich machen, wie wichtig es für sie war, dass er sie stets und überall wie einen Mann behandelte und sich um Himmels willen nicht anmerken ließ, dass sie keiner war.
»Abgemacht«, sagte sie. »Du bestimmst Ort und Zeit.«
Die darauffolgende Nacht
»Du bist wahnsinnig geworden«, sagte Arcangela. Sie war ehrlich entsetzt. »Du hast dich mit ihm zu einem Stelldichein verabredet? Bei Mondenschein?«
»Nicht bei Mondenschein, sondern bei Nacht.«
»Der Mond wird aber scheinen! Wir haben Vollmond!«
»Das ist Zufall und hat nichts damit zu tun, dass ich mich heute Nacht mit ihm unterhalten will.«
»Warum habt ihr euch nicht einfach zu einem Nachmittagsspaziergang verabredet? Oder zu einem gemeinsamen Mittagsmahl in einer Schenke? Oder, noch einfacher, zu einem Gespräch in einer Vorlesungspause?«
»Er wollte, dass wir uns diese Nacht treffen«, gab Celestina zu. Insgeheim verfluchte sie sich bereits, dass sie ihm die Auswahl überlassen hatte, statt gleich selbst einen passenden Ort und eine genehme Zeit zu bestimmen. Nicht etwa, weil sie sich fürchtete, Timoteo bei Nacht zu treffen, sondern weil sie ihm damit Macht über sich einräumte. Er hatte keinen Augenblick gezögert, sich festzulegen:
»Noch heute Nacht, beim ersten Läuten. Du schleichst dich wie üblich fort, und ich warte am Ende der Gasse auf dich.«
»Wo will er denn mit dir hingehen?«, wollte Arcangela wissen.
»Ich weiß es nicht«, räumte Celestina ein weiteres Versäumnis ein. »Es gab keine Gelegenheit mehr, ihn zu fragen, weil wir sonst zu spät zur Vorlesung gekommen wären.« Sie reckte kämpferisch das Kinn. »Es hat auch sein Gutes, bei Nacht mit ihm zu reden. Dann sind wir ungestört und unbeobachtet, und ich kann ihm alles sagen, was ich mir vorgenommen habe.«
»Du weißt, dass Pläne es oft an sich haben schiefzugehen. Vor allem deine.«
»Nicht dieser, denn es hängt zu viel davon ab.«
Celestina machte sich für die Nacht fertig, was in diesem Fall bedeutete, dass sie die Männerkleidung bereitlegte und sich dann zur Ruhe begab, jedenfalls für die wenigen Stunden, die ihr noch bis zum Aufbruch blieben. Läden und Fenster ließ sie offen stehen, damit sie vom Nachtläuten aufwachte.
Doch ihr war kein Schlaf vergönnt. Unruhig wälzte sie sich hin und her. Sie schwitzte und fror abwechselnd und legte sich ein ums andere Mal kluge Argumente zurecht, mit denen sie Timoteo von der Notwendigkeit überzeugen wollte, sich vernünftig zu benehmen.
Arcangela schlief unterdessen den Schlaf der Gerechten. Ab und zu seufzte sie verhalten, und einmal hörte Celestina sie »Ach, Vitale, du wilder Stier!« murmeln, doch davon abgesehen herrschte Stille im Nachbarbett.
Als die Nachtglocke ertönte, fuhr Celestina sofort senkrecht hoch. Im Licht der Stundenkerze schlüpfte sie in die bereitgelegte Knabenmontur. Das Verkleiden ging ihr inzwischen so leicht von der Hand wie jedem Mann. Alle Griffe saßen, sie beherrschte die Abfolge blind. Sämtliche Kleidungsstücke waren so geschnitten, dass sie sich nicht mit Verschlüssen oder Schnüren herumplagen musste.
Die Leinenbandage um ihre Brust hatte sie schon vor dem Zubettgehen angelegt. Arcangela behauptete, Celestina werde ihr bisschen Busen auf diese Weise noch gänzlich zum Verschwinden bringen; keiner Brust könne es guttun, ständig plattgedrückt zu werden, sowie es auch für das Haar ungesund sei, von früh bis spät mit Lederbändern zusammengezwirbelt und abwechselnd unter Hauben oder Kappen
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