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Das Mädchen aus Mantua

Das Mädchen aus Mantua

Titel: Das Mädchen aus Mantua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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starren.
    Im Spital war es ähnlich gewesen. Dort hatte es mit der Schlaflosigkeit angefangen. In einem Riesensaal zusammen mit Dutzenden Kranken zu liegen, zur Regungslosigkeit verdammt und unablässig den gequälten Lauten der übrigen Patienten ausgeliefert zu sein, hatte ihn das Schlafen gleichsam verlernen lassen. Immer hatte irgendwer gestöhnt, geächzt, geweint oder geschrien, ob bei Tag oder bei Nacht.
    Natürlich hatte ihn die schiere Erschöpfung in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen in einen totenähnlichen Schlaf gezwungen, doch hatte dieser meist kaum zwei Stunden gedauert. Die Schmerzen taten ein Übriges. Kein Mensch konnte mit solchen Schmerzen schlafen.
    Der Mönch hatte ihm in den ersten Tagen nach der Operation von den Schwestern Mohnsaft geben lassen, ein wahres Wundermittel, nach dem er sich heftig zurücksehnte. Er hätte bereits im Krankenhaus sonst was darum gegeben, mehr davon zu bekommen, doch der Mönch hatte es ihm nur in genauer Dosierung bewilligt und zudem streng darauf geachtet, dass die zeitlichen Abstände zwischen den einzelnen Verabreichungen nicht zu kurz waren.
    Mehr davon hatte es nur bei der Operation gegeben, doch da hatte er es nicht zum Trinken bekommen, sondern es wurde ihm ein Schwamm vor Mund und Nase gepresst, der mit Mohnsaft und anderem Teufelszeug getränkt war.
    Er hatte dem Himmel dafür gedankt, denn er hatte davon das Bewusstsein nachhaltig genug verloren, um nicht mitzuerleben, was anschließend mit ihm geschah.
    Als er wieder aufgewacht war, hatte er keine linke Hand mehr. Viel hatte sie am Ende sowieso nicht getaugt, sie bestand vor der Amputation nur noch aus rohem, entzündetem Fleisch, der Mönch hatte sogar erwogen, ihm den Unterarm bis zum Ellbogengelenk abzunehmen.
    Nun lag er hier in der Herberge und fragte sich, warum er die Hand, die er doch nicht mehr hatte, noch spürte. Die Finger taten ihm weh, jeder einzelne, und es war so schlimm, dass er am liebsten ein Beil genommen hätte, um diese nicht mehr vorhandene Hand erneut abzuhacken.
    Vereinzelt hatte er davon gehört, dass verlorene Gliedmaßen noch schmerzen konnten, aber er hatte das immer als Narretei abgetan. Vielleicht, so überlegte er, war er verhext. Gegen Hexenwerk half Zauberei. Doch wo sollte er einen Zauberer oder eine Hexe finden, die ihm helfen konnten?
    Blieb noch die Hoffnung, bald nach Hause zurückzukehren. Die mildtätige Stiftung, die auch für die Kosten seiner Behandlung im Spital aufgekommen war, hatte ihm das Herbergszimmer bis zum morgigen Tag bezahlt, dann hatte er eine Reisegelegenheit. So lange sollte er sich noch erholen, den Armstumpf schonen und lernen, einhändig den Alltag zu bewältigen.
    Davon war er jedoch weit entfernt, er konnte sich nur unter Stöhnen und Fluchen an- und auskleiden, folglich war er die meiste Zeit auf dem Zimmer geblieben, bis auf die wenigen Male, da er sich im Schankraum Essen und Wasser holen musste, da er sonst verhungert wäre. Er war dazu übergegangen, seine Kleidung gleich anzubehalten, so sparte er sich wenigstens überflüssige Qualen.
    Mittlerweile tat die Hand so weh, dass es ihm die Tränen in die Augen trieb. So schlimm war es bis jetzt noch nicht gewesen. Er schämte sich, dass er wie ein kleines Kind weinte, aber er konnte nicht anders.
    Trotzdem versuchte er lange, es hinauszuschieben, doch irgendwann ging es nicht mehr. Er stand auf und ging die wenigen Schritte vom Bett bis zu seinem Reisesack. Dort hatte er seinen derzeit kostbarsten Besitz verstaut, den Beutel mit der Medizin.
    Die Anweisung für die Einnahme hatte er noch im Ohr. Davon könnt Ihr schlafen. Wenn die Schmerzen und alles andere zu schlimm sind, um es noch auszuhalten. Löst es einfach in etwas Wein auf. Nehmt es aber nur, wenn es nicht mehr anders geht. Als letzten Ausweg.
    Das war der letzte Ausweg! Lieber wäre er gestorben, als das noch länger mitzumachen!
    Sein Armstumpf pochte und gaukelte ihm gleichzeitig Finger vor, wo keine mehr waren, während er mit der Rechten unbeholfen den Beutel hervorkramte.
    Langsam, dachte er. Nur nichts verschütten!
    Vorsichtig gab er den krümeligen Inhalt in den halbvollen Weinbecher, den er sich – nur für diesen Fall – aufbewahrt hatte. Er verrührte alles mit dem Finger und roch anschließend daran. Stechend und faulig, aber das hatte Medizin nun einmal so an sich.
    Er trank es auf einen Zug aus, es war grässlich bitter.
    Bitter im Mund ist dem Herzen gesund , das hatte schon seine Großmutter immer

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