Das Mädchen aus Mantua
gesagt.
Das Mittel wirkte schnell, wie er überrascht spürte. Seine Beine konnten ihn kaum noch tragen, als er zurück zum Bett wankte und sich darauffallen ließ. Um ihn herum drehte sich alles, und wenn er versuchte, seine Augen auf einen bestimmten Punkt zu richten, verschwamm die ganze Umgebung. Das Bett schien unter ihm zu zerfließen, und die Luft widersetzte sich, als er einatmen wollte. Als der Atemzug nach einigen Mühen endlich seine Lungen füllte, fühlte es sich sengend heiß an.
Doch dafür tat die Hand nicht mehr weh! Es hatte aufgehört! Tränen der Dankbarkeit liefen ihm über die Wangen.
Dann merkte er, dass das Atmen immer schwieriger wurde. Es war, als hätte sich jemand auf seine Brust gesetzt. Gleichzeitig wurde seine Kehle immer enger. Schnappend versuchte er Luft zu holen, doch sein Hals war zugeschnürt, und in seinem Rachen brannte es wie Feuer.
Er wollte vom Bett aufstehen, zum Fenster gehen und es aufreißen, doch seine Glieder waren gelähmt.
Das Ersticken dauerte lange und war qualvoll. Er spürte noch eine Ewigkeit, was mit ihm geschah. Wie ihm die Augen aus dem Kopf traten, wie seine Zunge anschwoll, wie sein Körper zuckte. Irgendwann war ihm klar, dass dies der Tod war.
Ob es aber einen anderen Ausweg gegeben hätte, vermochte er bis zum Ende seiner bewussten Wahrnehmungen nicht zu sagen.
Am nächsten Morgen
Die Nonne Deodata eilte mit gesenktem Kopf durch die Gassen. Der Wind brachte ihren Habit zum Flattern und wehte ihr den Schleier ums Gesicht, während sie ihre Schritte beschleunigte, um ihr Ziel schneller zu erreichen. In ihrem Magen rumorte es, sie hatte seit dem Vortag nichts gegessen. Nicht, dass sie Hunger gehabt hätte. Das, was mit dem Einhändigen passiert war, hatte ihr den Appetit verdorben. Nach solchen Ereignissen konnte sie oft tagelang nichts zu sich nehmen, und schlafen konnte sie ebenso wenig.
Sie wich einem Gemüsekarren aus, der die Gasse blockierte. Der Bauer, der daneben stand, unterhielt sich mit einem Händler. Beide gönnten ihr keinen Blick. Männer schauten ihr nie hinterher, das war ihr Schicksal als Nonne. Ihre Tracht wies sie als Braut Christi aus, aber es war nicht nur diese Symbolik, die sie für Männeraugen in ein unbeachtetes Nichts verwandelte. Der strenge Kopfschleier, der unförmige Habit – beides war im Grunde nicht mehr und nicht weniger als eine Wand, hinter der sie unsichtbar war. Bestenfalls ein Neutrum, schlimmstenfalls ein Nichts. Ihre Weiblichkeit hatte sie mit der Profess aufgegeben. Als Frau existierte sie fortan nicht mehr. Das war eine Erfahrung, an die sie sich erst hatte gewöhnen müssen, denn anders als viele Nonnen, die schon als Kinder dem Herrn geweiht wurden, hatte sie vorher ein anderes Leben gekannt. Sie war eine hübsche Frau gewesen, und sie hatte einen Mann und ein Kind gehabt. Erst, als sie beides verloren hatte und ihre einzige Aussicht auf ein beschütztes Leben darin bestand, sich dem Werben ihres trunksüchtigen und gewalttätigen Schwagers zu ergeben, hatte sie sich für den Rückzug ins Kloster entschieden. Dort hatte sie mehr gefunden, als sie sich je erhofft hatte. Allerdings zahlte sie einen hohen Preis dafür. Genauer gesagt: Andere zahlten ihn. Mit ihrem Leben, so wie der Einhändige. Sie hatten es sich nicht ausgesucht, so zu enden, doch niemand konnte seiner Bestimmung entrinnen. Gottes Wege waren unergründlich, und solange Er duldete, dass dies alles geschah, hatte es seine Richtigkeit. In Seinem unerforschlichen Ratschluss lagen Leben und Tod, und wem Er gab oder nahm, entschied Er letztlich allein.
Sie hatte die Pforte der Basilika erreicht. Mit gesenktem Kopf drückte sie das schwere Holztor auf und betrat den nach Weihrauch duftenden Innenraum der Kirche. Die Frühmesse würde erst in einer halben Stunde beginnen, ihr blieb genug Zeit. Mattes Kerzenlicht erhellte die Dämmerung und wies ihr den Weg an den Säulen vorbei zum Seitenschiff, wo sich erhöht an der Wand das Grab des heiligen Antonius befand. Sie kniete vor dem Sarkophag nieder und faltete die Hände unter dem geneigten Kinn. Sie beichtete im Stillen ihre Sünden. Es störte sie nicht, dass der Stadtheilige schon seit Hunderten von Jahren tot und kaum imstande war, ihr die Absolution zu erteilen. In ihrer Vorstellung hörte er ihr zu und vergab ihr alles, was sie getan hatte, denn wie sonst wäre es möglich, dass ihre Seele sich anschließend immer so leicht und frei fühlte? Auch diesmal durchströmte sie die Erleichterung
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