Das Mädchen aus Mantua
Vater hatte ihr den halbjährlichen Wechsel geschickt und damit den pekuniären Engpass auf erfreuliche Weise behoben. Auch Celestina hatte die erwartete Zuwendung erhalten, mit der sie regelmäßig ihre dürftigen Finanzen aufbessern konnte. Sie hatte den Wechsel noch nicht eingelöst, aber sie würde nicht umhin können, es noch zu tun. Die schmale Rente, die ihr aus Jacopos früherer Tätigkeit als Amtsphysikus von San Marco zustand, reichte kaum für Kleidung und Bücher. Für die anstehende Promotion würde sie ohne ein Stipendium – mit dem sie sowieso nicht zu rechnen wagte – eine größere Summe benötigen. Sofern sie die Täuschung bis dahin überhaupt aufrechterhalten konnte.
Arcangela hatte recht, sie war eine notorische Betrügerin und sollte sich besser an die eigene Nase fassen, statt Chiaras Verhalten zu missbilligen. Und doch …
Arcangela legte sich das Tuch wie eine Kapuze um und schlang es um die Schultern, dann zupfte sie einige Locken heraus und frisierte sie so, dass sie einen gefälligen Kontrast zu dem Smaragdgrün des Seidenstoffs bildeten. »Sieh mal, so ist es am besten, findest du nicht?«
Celestina ließ den Anatomieband sinken, in dem sie die ganze Zeit herumgeblättert hatte, ohne den Inhalt wahrzunehmen. »Es ist nicht richtig!«, sagte sie trotzig.
»Da du offenbar nicht mein Tuch meinst, sprichst du wohl über die von Gentile vorgeschlagene Heirat.« Arcangela runzelte die Stirn angesichts dieser unerwarteten Beharrlichkeit. Mit einem Mal dämmerte ihr die Erkenntnis. »Du hast einen Narren an Timoteo Caliari gefressen!« Achtlos ließ sie das Tuch sinken. Ihre Nasenflügel blähten sich vor Sensationslust. »Du hast dich in ihn verguckt! Deshalb willst du nicht, dass Chiara ihn heiratet!«
»Das ist lächerlich«, wehrte Celestina kühl ab. »Ich bin lediglich der Meinung, dass er es nicht verdient hat, so über den Löffel balbiert zu werden.«
»Und was willst du dagegen unternehmen?«
»Keine Ahnung«, räumte Celestina ein.
Doch sie würde sich etwas einfallen lassen.
Da sie weiterhin der Ansicht war, einschreiten zu müssen, suchte sie erneut das Gespräch mit ihrer Cousine. Doch Chiara hatte das Haus verlassen, wie ihr von Morosina mitgeteilt wurde, und zwar in Begleitung von Margarita, weil Guido ebenfalls außer Haus war und daher als Begleiter nicht zur Verfügung stand. Die Magd blickte verlegen drein, als sie davon berichtete. Celestina fragte sich, wie viel das Gesinde wohl wusste.
Nach einigem Überlegen fasste sie sich ein Herz und klopfte an die Tür von Gentiles Gemach. Zur ihrer Erleichterung war er anwesend; sie hatte befürchtet, er habe sich womöglich bereits mit seinem Bruder und seiner Schwägerin ins Benehmen gesetzt, um sobald wie möglich die Heirat voranzutreiben.
»Celestina!« Er lächelte sie aufgeräumt an. »Tritt ein!«
Ein wenig zögernd kam sie seiner freundlichen Aufforderung nach. Er bewohnte eine Kammer im hinteren Teil des ersten Obergeschosses, die mit allem Komfort eines sorglos lebenden Junggesellen ausgestattet war. Das Bett wies feine Baumwolllaken auf, vor dem Fenster stand ein bequemer Lehnstuhl, und auf der Kommode lagen edle Rasierutensilien. In der aufgeklappten Kleiderkiste waren ordentlich zusammengelegte Seidenhemden zu sehen und die schreiend bunten Wämser, die er bevorzugte.
Zu Celestinas Überraschung gab es auch ein Bücherbord. Sie sah Bände von Catull und Boccaccio, aber auch von Aristoteles und Macchiavelli. Erstaunt bemerkte sie auch Schriften von Cardano und Bruno, beide von der Inquisition geächtete Wissenschaftler.
»Es scheint dich zu verblüffen, dass ich auch lesen kann«, sagte er belustigt.
»Äh … nein«, behauptete sie.
»Du schwindelst, aber du machst es auf nette Art. Was führt dich zu mir, werte Nichte?«
Sie holte Luft. »Chiara. Dein Plan in allen Ehren, Onkel Gentile, aber er basiert auf einer schlimmen Lüge. Chiara wurde nicht vergewaltigt, schon gar nicht von Timoteo Caliari. Er ist nicht der Vater.«
»Ich weiß«, sagte Gentile.
Vor Staunen stand ihr der Mund offen. »Du weißt es?«
Er nickte nachlässig. »Chiara lügt miserabel. Darin war sie noch nie gut.«
»Aber wie kannst du dann so tun, als würdest du ihr glauben?«
»Weil es überaus praktisch ist. Nach ihrer eigenen Aussage bleibt ihr nichts anderes übrig, als den angeblichen Vater ihres Kindes zu ehelichen, wenn sie nicht bis zum Ende ihrer Tage geächtet und schief angesehen werden will. Die Gesellschaft
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