Das Mädchen aus Mantua
schon verzweifelt auf deine Hilfe! Komm endlich herauf!«
Der gebieterische Ton duldete keinen Widerspruch, zumal die Alte am Fenster stehen blieb und argwöhnisch darauf achtete, dass Celestina ihrem Befehl Folge leistete.
Grübelnd blickte Lodovico ihr nach. Als sie im Haus verschwunden war, ging er hinüber zu der Mauer, die er vor einigen Wochen innerhalb weniger Stunden von zwei tüchtigen Arbeitern hatte errichten lassen, dort, wo vorher die Hecke gewesen war. Seltsamerweise hatte niemand bisher Fragen dazu gestellt. Daran ließ sich ersehen, wie herzlich gleichgültig er allen war. Niemand scherte sich um ihn, um sein Wohlergehen, seine Wünsche, seine Träume. Höchste Zeit, dass er das selbst in die Hand nahm, nach all den Jahren.
Mit dem Schlüssel, den er immer bei sich trug, sperrte er das Schloss auf und betrat den dahinter liegenden Bereich. Das Bilsenkraut blühte nur noch vereinzelt, der Fingerhut gar nicht mehr, aber dafür hatten sich die Herbstzeitlosen zu voller Pracht entfaltet. Eine Handvoll der harmlos aussehenden lila Blüten in einem Aufguss, und ein Becher davon brachte den Tod. Außerdem hatte ein anderes Gewächs reichlich ausgetrieben. Es war schlichter Roggen, doch er war von einer besonderen Sorte. Lodovico strich vorsichtig mit den Fingerspitzen über die todbringenden Ähren mit dem Mutterkorn. In winzigen Mengen half es Frauen nach dem Abort oder nach einer schweren Geburt, doch nur paar Körner zu viel davon, und derjenige, der es zu sich nahm, musste sterben. An einer schrecklichen Krankheit, dem Ignis Sacer , auch Antoniusfeuer genannt.
Es war, wie bei so vielen Dingen im Leben, alles eine Frage der richtigen Dosierung.
Mitte September
Auf dem Weg zur Beichte sann Arcangela darüber nach, wie eigenartig es doch war, dass manches im Leben zur Gewohnheit werden konnte, obwohl man vorher geschworen hätte, dass es keine schlimmere Sünde geben könne. Was einen anfangs innerlich fast zerriss, fügte sich nach Wochen und Monaten ohne Weiteres zu einem beinahe alltäglichen Lebensablauf.
Sie musste nur streng darauf achten, das Parfüm am richtigen Tag aufzulegen und vor allem nicht die Botenjungen zum falschen Empfänger zu schicken.
Die vertrauten Umrisse der Capella Scrovegni leuchteten tröstlich im Sonnenschein. Der Spätsommer bescherte den Bürgern von Padua in diesen Tagen eine angenehme Wärme, sodass Arcangela ihre Liebhaber weiterhin in den üblichen Abständen treffen konnte, Montag für Montag und Freitag für Freitag. Diese schiere Macht der Gewohntheit trug dazu bei, dass die Sünde, die sie damit beging, ihr nicht mehr gar so schwer auf der Seele lag. Dass Gott der Allmächtige einem ähnlichen Abstumpfungsprozess unterworfen war, war natürlich sehr zu bezweifeln, weshalb sie auch in ihrem Bemühen um ihr Seelenheil nicht nachließ und weiterhin getreulich alles beichtete, wofür sie anderenfalls gewiss für immer in der Hölle hätte schmoren müssen.
Pater Domenico hielt wie immer sein gütiges Lächeln für sie parat. Stocktaub, wie er war, machte er sich gar nicht erst die Mühe, ihre gemurmelten Sünden akustisch zu verstehen, sondern hob nur segnend die Hände, während sie ihm anvertraute, welche Schlechtigkeiten sie sich in der vergangenen Woche wieder geleistet hatte.
»Pater, die schlimmste Sünde war, dass ich es mit Vitale in dieser Wohnung getrieben habe. Er wollte sie mir eigentlich nur zeigen, und das allein war schon eine Unternehmung, die ihn in den Augen anderer schlecht dastehen lassen könnte. Vor allem seine unmögliche Mutter setzt ihm schwer zu. Sie kann nur daran denken, was die Leute sagen. Schließlich ist seine Frau gerade mal ein halbes Jahr unter der Erde.« Arcangela bekreuzigte sich und fügte rasch hinzu: »Gott hab sie selig. Nun ja, wir waren also in dieser Wohnung. Das Haus gehört einem venezianischen Adligen, der sich allerdings nicht selbst darum kümmert, das macht ein Verwalter, und der wiederum ist ein Freund von Vitale, weshalb Vitale dort auch für einen sehr günstigen Mietzins leben könnte. Und die Wohnung ist wirklich sehr schön. Als Vitale sie mir zeigte, sah er so glücklich und jung und verliebt aus, dass mir das Herz förmlich im Leibe schmolz. Ach, was soll ich noch sagen! Es überkam mich einfach, und wir taten es.«
Sie überlegte, ob sie noch ausführen sollte, wie es geschehen war, nämlich an die Wand gelehnt, weil noch kein Mobiliar und daher auch kein Bett vorhanden war, doch dann entschied sie,
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