Das Mädchen aus Mantua
der Leiden konnte sie behandeln oder es zumindest versuchen. Für die Entzündungen hatte sie eine Tinktur in der Apotheke mischen lassen, nach einer Rezeptur, mit der Jacopo beste Erfahrungen gesammelt hatte. Die Warzen bestrich sie mit einer anderen Tinktur, wobei fraglich war, ob diese Behandlung anschlug. Bei Warzen war das nie vorauszusagen. Manchmal verschwanden sie von ganz allein, ohne dass man etwas dagegen tat, während sie in anderen Fällen trotz vielfacher Ausrottungsversuche jahrelang an Ort und Stelle blieben und sogar Ableger hervorbrachten.
Gegen den vorgefallenen Nabel half vielleicht ein Bruchband. Was den Zahn anging, so war dieser faul und musste unbedingt bei nächster Gelegenheit entfernt werden.
»Du musst nur darauf achten, zu einem wirklich guten Zahnreißer zu gehen«, hatte Celestina zu ihrer Tante gesagt. »Bloß nicht zu einem, der keine Referenzen hat, oder gar zu einem dieser durchreisenden Marktschreier.«
In Wahrheit würde Marta vermutlich zu gar keinem Zahnreißer gehen, weil sie höllische Angst davor hatte. Celestina hatte den Verdacht, dass ihre Tante hoffte, der Zahn würde eines Tages von allein herausfallen. Doch sie wusste auch, dass irgendwann die Schmerzen so bestialisch werden würden, dass Marta sich besinnen und den schweren Gang auf sich nehmen musste.
Marta rieb sich die Tränen aus den Augen. »Dann muss ich es eben ertragen, bis mich dereinst der Tod dahinrafft. Was sicher nicht mehr lange dauern kann, so schlimm, wie es jetzt bereits um mich bestellt ist.«
Die alte Immaculata gab ein krächzendes Kichern von sich und klopfte Marta auf den Rücken. »Du und sterben? Du wirst noch lange leben! Schau nur mich an! Zäh wie altes Leder! So wird man nur auf eine Art: Indem man sich vom Schicksal tüchtig das Fell gerben lässt.«
Am Nachmittag begegnete Celestina auf der Treppe des Hauses ihrer Cousine Chiara. Das Mädchen sah reizend aus: Ihr Haar hatte sie zu einem gefälligen Lockengeriesel frisiert, und die Farbe des hellblauen Seidenkleides passte genau zu ihren Augen. Ihr Bruder Guido wartete bereits bei der Haustür auf sie, auch er zum Ausgehen angezogen. Der spanischen Mode für junge Herren entsprechend, trug er bauschige Kniehosen und eng anliegende lange Strümpfe, dazu ein Samtwams mit hohem Kragen und kurzem Schoß. Das blonde Haar fiel ihm bis zu den Schultern.
»Wollt ihr ausgehen?«, fragte Celestina.
Chiara nickte. »Guido und ich gehen zu unserer Porträtsitzung.«
»Ihr geht ziemlich oft dorthin.«
»Zweimal die Woche«, meinte Chiara. Es klang schnippisch.
»Ich habe mich vor Jahren auch einmal porträtieren lassen«, sagte Celestina. »Damals war das Bild nach drei Sitzungen fertig. Dieser Künstler, der euch porträtiert, braucht ungeheuer lange. Eure Mutter meinte, ihr würdet ihn schon seit drei Monaten aufsuchen.« Sie beobachtete Chiara, die ihrem Bruder einen hilfesuchenden Blick zuwarf.
»Oder soll er euch einzeln malen?«, fragte Celestina.
»Ja, genau«, platzte Chiara heraus. »Er malt uns einzeln. Dafür waren viele … Skizzen nötig.«
»Ich warte draußen«, sagte Guido, während er bereits durch die Tür schlüpfte.
Chiara wollte ihm nach, doch Celestina trat ihr in den Weg. »Ich wollte dich schon die ganze Zeit etwas fragen, Chiara. Verabscheust du eigentlich ebenfalls die Caliari?«
»Ich … ja, natürlich«, stammelte Chiara errötend. »Ich hasse sie! Die Caliari sind unsere Feinde! Sie sind schrecklich!«
»Auch Timoteo Caliari?«
Chiaras Wangen färbten sich noch eine Schattierung dunkler. »Warum fragst du das? Ich kenne ihn überhaupt nicht.«
»Ich hörte etwas anderes.«
Chiara starrte sie an. »Von wem?«
»Das tut nichts zur Sache. Wissen deine Eltern es?«
»Da gibt es gar nichts zu wissen!«, rief Chiara. Erschrocken über den lauten Ton ihrer Stimme blickte sie sich hastig um, bevor sie leiser fortfuhr: »Wer immer dir gewisse Dinge zugetragen hat – derjenige lügt! Zwischen Timoteo Caliari und mir ist nichts!«
»Aber du triffst dich mit ihm, oder?«
Chiara schüttelte vehement den Kopf. »Er ist mir zwei oder drei Mal zufällig begegnet, als ich von den Porträtsitzungen kam. Ich habe mich mit ihm unterhalten, weil ich höflich sein wollte. Mehr war nicht!«
»Warst du mit ihm allein? Wo war dein Bruder?«
Chiara wurde feuerrot und zuckte die Achseln. Sie drängte sich an Celestina vorbei und eilte die Treppe hinab. Gleich darauf hatte sie das Haus verlassen und die Tür hinter sich
Weitere Kostenlose Bücher