Das Mädchen aus Mantua
zugeworfen.
»Hört, hört«, sagte Arcangela, die vom zweiten Obergeschoss herunterkam und offensichtlich das Wichtigste mitbekommen hatte. »Also hast du richtig vermutet. Dieser Timoteo Caliari und unser kleines Blondschöpfchen haben ein delikates gemeinsames Geheimnis, was?«
»Wer hat Geheimnisse? Etwa ihr beiden?« Gentile tauchte auf dem Treppenabsatz auf, ebenfalls auf dem Weg nach unten. Vor Celestina blieb er stehen und blickte sie lächelnd an. »Was verbergen diese Augen, junge Dame?«
Celestina blieb eine Antwort schuldig; Gentile schien jedoch auch keine zu erwarten.
Wie seine Nichte und sein Neffe war er elegant gekleidet, mit üppigem, fein gekraustem Seidenkragen, lässig fallendem Samtumhang und Schuhen aus weichem Leder. Offensichtlich wollte auch er ausgehen, denn in der Hand trug er ein hohes Barett, und den Stoßdegen hatte er bereits umgeschnallt. Celestina fand seine Aufmachung eine Spur zu manieriert, doch im Gegensatz zu seinem Bruder Lodovico machte er in edler Kleidung eine recht gute Figur. Die geröteten Augen, die Tränensäcke und die für sein Alter bereits tief eingekerbten Falten zeugten jedoch von einem ungesunden Lebenswandel, von zu vielen durchzechten Nächten und anderen Lastern. Celestina fragte sich, ob er womöglich mehr trank, als einem Menschen auf Dauer guttun konnte. In jedem Fall war er das, was man einen Lebemann nannte. Bei einer nützlichen Tätigkeit hatte sie ihn bisher nicht beobachtet, sah man von seinen seltenen Besuchen im Handelskontor Lodovicos einmal ab.
Er warf Arcangela einen bewundernden Blick zu und taxierte ihren Ausschnitt. »Sah ich dieses Kleid schon an dir, mein schönes Kind?«
Arcangela grinste. »Mit Sicherheit. Ich besitze nur drei und trage sie abwechselnd.«
»Da siehst du, welche Wirkung deine Schönheit sogar auf einen alten Mann wie mich hat. Ich bin so geblendet von deinem lieblichen Antlitz und deinem herrlichen roten Haar, dass ich mir nie merken kann, welches Gewand du gerade trägst.« Schwungvoll setzte er seinen Hut auf, tippte höflich an die Krempe und eilte nach unten.
»Dieser alte Schwerenöter«, sagte Arcangela, immer noch lächelnd.
Celestina musterte ihre Stiefschwester mit leisem Argwohn. »Mir scheint, du magst ihn.«
»Ach, nicht auf diese Art.«
Das war eine Auskunft, die Celestina nur teilweise beruhigend fand, zumal sie in den letzten Tagen häufig den Eindruck hatte, dass sich bei Arcangela neue Schwierigkeiten anbahnten.
Arcangelas letzter Liebhaber in Mantua war verheiratet gewesen, weshalb sie auch so überstürzt von dort hatten verschwinden müssen. Die betrogene Ehefrau hatte sich an die Inquisition gewandt und Arcangela wegen Hexerei angezeigt. Da die Beschuldigte rothaarig war und inoffiziellen Erkenntnissen zufolge schon mehr als einem Mann mit ihren Hexenkräften den Verstand geraubt hatte, nahm man den Vorwurf ernst. Immerhin hatte der zuletzt verhexte Mann noch genug Verstand besessen, Arcangela rechtzeitig vor der drohenden Anklage zu warnen.
»Ich weiß, dass gerade ich gut reden habe«, sagte Celestina. »Aber was immer du tust – gib acht, dass es nicht herauskommt. Du weißt, was dann los wäre.«
Arcangela seufzte. Ihr Vater hatte ihr schon mehrmals Ultimaten gestellt, nach deren erfolglosem Ablauf jeweils das Frauenkloster drohte. Beim ersten Mal hatte sie dem entgehen können, indem sie zu ihrer verheirateten Stiefschwester und deren Gatten Jacopo nach Mantua zog. Ein zweites Mal, als sie mit Celestina zu deren Tante Marta nach Padua reisen durfte. Ein drittes Mal würde es sicher nicht geben. Man würde sie wahlweise verheiraten oder ins Kloster stecken, ob es ihr nun passte oder nicht.
Von oben war anhaltendes Stöhnen zu hören. Es kam aus dem Salon und konnte nur von Marta stammen.
»Die Hämorrhoiden?«, fragte Arcangela.
»Nein, die hatten wir heute schon. Für mich klingt es eher nach der Verstopfung.«
Arcangela war bereits wieder da, als Celestina zwei Stunden später in ihr gemeinsames Wohnzimmer zurückkehrte.
»Das hat aber lange gedauert«, sagte sie. »Länger als mein kleiner Ausflug.«
»Ich musste einen zweiten Einlauf machen«, sagte Celestina lakonisch. Sie zog sich die Schürze aus, die sie bei einer der Mägde geborgt hatte, und wusch sich am Waschtisch die Hände.
»Himmel, ja, man kann es riechen.« Arcangela sprang vom Bett auf und öffnete ihren Parfümflakon, um einige Spritzer im Zimmer zu verteilen. »Was hast du heute noch vor?«
»Ich wollte
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