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Das Mädchen aus Mantua

Das Mädchen aus Mantua

Titel: Das Mädchen aus Mantua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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vornehme Bürger, die es als besonderen Zeitvertreib betrachteten, einer öffentlichen Sektion beizuwohnen. Sogar einige Frauen befanden sich im Publikum.
    Es kam nicht allzu oft vor, dass es eine frische Leiche gab, was zugleich den Andrang erklärte. Nur Hingerichtete oder Selbstmörder ohne Anrecht auf christliches Begräbnis durften öffentlich seziert werden, denn ihre Seelen waren verdammt, sodass auf ihre Körper keine Rücksicht mehr genommen werden musste.
    Selbstmorde und erst recht Hinrichtungen waren allerdings nicht gerade an der Tagesordnung; zudem durfte nicht seziert werden, wenn die Verblichenen anerkannte venezianische Bürger gewesen waren. Deshalb gab es für den Anatomieunterricht weit weniger Anschauungsmaterial, als Professoren und Studenten sowie andere Interessierte sich wünschten. Nach dem Willen etlicher Anatomiebegeisterter hätte es deutlich mehr Schwerverbrecher geben können. Dabei konnten sich die Anatomen der Universität Padua bereits glücklich schätzen, dass jene armen Teufel, die man aufgeknüpft hatte, nicht auf Geheiß der Obrigkeit erst tagelang zur Abschreckung öffentlich am Galgen hängen blieben, so wie es andernorts vielfach gehandhabt wurde. Hier bewies die Verwaltung immerhin einen fortschrittlichen Geist und stellte die Verblichenen leidlich frisch der Anatomie zur Verfügung.
    Die Leiche, die an diesem Morgen ihren Weg auf den großen Tisch im Teatro Anatomico gefunden hatte, war in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zum einen handelte es sich um eine Frau, noch dazu um eine junge. Die meisten zum Tode Verurteilten waren Männer, sodass die anatomische Sektion einer weiblichen Leiche eine höchst ungewöhnliche Abwechslung darstellte, die sich keiner entgehen lassen wollte.
    Zum anderen war diese Leiche weder entstellt noch verstümmelt. Der Hals war völlig intakt, also nicht durch Einwirkung eines Strangs in die Länge gezogen. Die Haut war weder eingerissen, noch waren Körperglieder gebrochen oder zerfleischt, so wie es unweigerlich geschah, wenn das Opfer zuvor gerädert oder sonst wie gefoltert wurde.
    Die Frau hatte sich selbst vom Leben zum Tode befördert, durch Einnahme von Gift, wie man munkelte. Es hieß, sie sei eine Hure gewesen, die erst vor wenigen Tagen von Ferrara zugereist sei und ein Kind der Schande erwartet habe, weshalb sie Hand an sich gelegt habe.
    Der Professor der Anatomie hoffte auf neue Erkenntnisse im Hinblick auf die inneren Organe, vor allem aber über die zum Zeitpunkt des Todes bestehende Schwangerschaft, denn die Embryonalentwicklung stand im Zentrum seiner Forschungstätigkeit.
    Die eigentliche Schaufläche, welche die Basis des Theaters bildete, bot nicht viel Platz, zumal der größte Teil davon bereits von dem Tisch eingenommen wurde. Ein weiterer Tisch wurde für das Instrumentarium benötigt, und den wenigen noch verbleibenden Raum beanspruchten die Gehilfen und die ringsum in Halterungen angebrachten Fackeln. Durch die Fenster hinter dem hölzernen Aufbau der Zuschauerränge fiel kein Licht, sie waren blind.
    Timoteo beugte sich über die Brüstung. Von hier oben aus würden sie keine Feinheiten der Präparation beobachten können. Doch die vollständige Sektion würde ingesamt drei Tage dauern, und meist war es nur am ersten Tag so voll auf den Rängen. Am folgenden Tag würden sie bessere Plätze weiter unten finden. Über Nacht hatte bisher noch jede Leiche angefangen zu stinken, das hielt Besucher zuverlässig fern.
    Wie immer würde mit jenen Teilen begonnen werden, die am schnellsten der Fäulnis anheimfielen. Für den ersten Tag war vorgesehen, die Hautschichten sowie das darunterliegende Fett mitsamt den darin befindlichen Nerven und Adern zu demonstrieren und anschließend die inneren Organe. Die Knochen, für die Timoteo sich am meisten interessierte, kamen erst am dritten Tag an die Reihe.
    Professor Girolamo Fabrizio erschien auf der Schaufläche des Anatomietheaters. Er war ein kräftig gebauter Mann in den Sechzigern, mit Vollbart und Stirnglatze und einem durchdringenden Blick, dem nicht viel entging. Als er an den Sektionstisch trat, erhob sich ein beifälliges Raunen unter den Zuschauern. Der Anatom galt weithin als Koryphäe. Im Großen Rat von Venedig war man stolz darauf, ihn für die medizinische Fakultät der Universität gewonnen zu haben.
    Er wusste, was die zahlenden Zuschauer erwarteten. Mit gebührend theatralischem Schwung zog er das Leinentuch vom Körper der Toten, was dem Publikum diverse

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