Das Mädchen aus Mantua
Ausrufe entlockte.
Das sollte jedoch während der Vorführung das einzige Zugeständnis an das Unterhaltungsbedürfnis der Menge bleiben. Girolamo Fabrizio sezierte nicht, um den Sensationsdrang gelangweilter Bürger zu befriedigen, sondern im Dienste der Wissenschaft.
Zu den Gepflogenheiten vieler seiner Vorgänger hatte es gehört, einen Scherer als Gehilfen die Sektion durchführen zu lassen, während der Dozent auf einem erhöhten Stuhl saß und aus dem anatomischen Lehrbuch vortrug.
Fabrizio jedoch vereinte Demonstration und Erklärung. Wie einst Vesalius sezierte er eigenhändig und erklärte dabei Schritt für Schritt jeden Handgriff. Nur bei den Sektionen von Tieren pflegte er das Zergliedern der Leichname dem Prosektor zu überlassen, desgleichen bei den groben Vorarbeiten wie dem Öffnen des Brustkorbs.
Der Körper der Toten war schlaff, die Leichenstarre war bereits gewichen. Die Haut war bis auf die vereinzelten Leichenflecken bleich, fast weiß, vor allem am Schädel, weil man der Toten, wie allen, die hier anatomiert wurden, das Haar abgeschoren hatte.
»Eine Frau von vierundzwanzig Jahren«, sagte der Professor laut, aber in nüchternem Tonfall. Er sprach Latein, die Sprache der Medizin.
»Bis zum Tode in augenscheinlich gesundem Zustand, nach Bekunden von Zeugen beim Ableben schwanger. Starb allem Anschein nach durch die Einnahme eines tödlichen Giftes.« Er deutete auf die blau verfärbten Lippen der Toten, in deren Mundwinkeln gestocktes Blut klebte. »Wir hoffen, in den Eingeweiden weitere Zeichen dafür zu finden. Beginnen werden wir nun mit der Demonstration der äußeren Körperschichten.«
Er trat vor, nahm ein Skalpell vom Instrumententisch und setzte den ersten Schnitt, glatt durchgezogen vom Rippenbogen bis zum Schambein. Ein Stöhnen erhob sich von den Rängen, während sich die Haut unter der scharfen Klinge teilte. Eine Frau fing an zu wimmern, als der Professor den Prosektor anwies, die Haut mittels Haken auseinanderzuziehen, doch sie verstummte sofort, als ihr Gatte ihr für alle hörbar einen Tadel zuzischte.
Wie immer erwarteten einige Zuschauer wohl Ströme von Blut und mussten erst begreifen, dass dergleichen nicht zu befürchten war, ebenso wenig wie sonstige Reaktionen der Toten auf das Zerteilen des Körpers.
»Wir fahren fort mit der Darstellung der großen Bauchmuskeln«, sagte der Professor, wobei er sogleich anhob, auf Lateinisch die anatomischen Einzelheiten zu erläutern.
Timoteo beugte sich noch weiter vor, doch es war sinnlos, man konnte außer der gelblichen Farbe des Fettgewebes und der darunter befindlichen rötlichen Muskelschicht keine Details erkennen.
»Wenn später alle gegangen sind, gehen wir runter und sehen sie uns im Vorbereitungsraum genauer an«, sagte der pragmatisch veranlagte Galeazzo.
»Ich hätte gern die Venen während der Präparation gesehen«, meinte William frustriert. Sein Forschungsdrang galt von jeher den Adern, es interessierte ihn brennend, welchen Weg das Blut durch den Körper nahm, insbesondere das Zusammenwirken von Herz und Arterien. Die überkommene Ansicht, nach welcher das Blut stets neu in der Leber erzeugt werde und durch die Kontraktionen der Arterien durch den Körper befördert werde, wies seiner Ansicht nach Ungereimtheiten auf. Vorsichtige Anregungen gegenüber dem Professor, dass dies genauer untersucht werden müsse, waren positiv aufgenommen worden, weshalb William alles daransetzte, in diesem Bereich zu forschen.
»Du weißt doch sowieso schon alles«, meinte Galeazzo.
»Davon kann überhaupt keine Rede sein«, widersprach der Engländer. »Im Vergleich zum großen Fabrizio bin ich ein dummer kleiner Scholar.«
In Wahrheit hatte er den anderen eingeschriebenen Studenten der Universität Padua einiges voraus. Mit seinen dreiundzwanzig Jahren war er älter als die meisten seiner Kommilitonen, hatte aber bereits in England ein Medizinstudium absolviert und dieses als Bakkalaureus Artium abgeschlossen, bevor er nach Padua gekommen war, um dort seine Studien fortzusetzen und seine Kenntnisse zu vervollkommnen. Wie Timoteo und Galeazzo arbeitete er auf seine Promotion hin; alle drei wollten bald die Doktorwürde erwerben.
Timoteo hörte die Stimme des Dozenten, doch mit seinen Gedanken war er woanders. Ihm ging der milchgesichtige Jüngling von Samstagnacht nicht aus dem Sinn. Marino. Was für ein alberner Name. Aber der Bursche hatte, wenn auch auf leicht weibische Weise, recht hübsch ausgesehen. Wie jemand,
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