Das Mädchen aus Mantua
auf das, was gleich folgt.«
Celestina fühlte sich klein wie eine Maus. Sie hatte zwar schon drei Mal unter Jacopos Aufsicht den Blasenschnitt ohne Hilfe ausgeführt, aber als nennenswerte Erfahrung konnte man das wohl kaum bezeichnen. Die einzige Möglichkeit, dennoch Eindruck zu schinden, bestand in der Wahl der Operationsmethode – dem Seitenstich. Jacopo hatte in einer alten, bebilderten Schrift davon gelesen und es bei diversen männlichen Kranken versucht. Alle Patienten, denen er und zuletzt auch Celestina auf diese Weise den Blasenstein entfernt hatten, hatten überlebt und nach erfolgter Heilung schmerzlos urinieren können. Wäre Jacopo nicht gestorben, hätte sich die Methode unter den Steinschneidern sicher bald herumgesprochen, doch dazu war es nicht gekommen. Alle Chirurgen, von denen Celestina gehört hatte, operierten weiterhin auf die herkömmliche Art. Diese bestand darin, den Patienten mit vier kräftigen Männern festzuhalten und ihm die weit gespreizten Beine an den Leib zu pressen. Sodann wurde eine Sonde mit einer Längsrille durch die Harnröhre in die Blase geschoben, worauf der Chirurg dem Kranken zwei Finger in den Anus schob und von dort aus den Stein ertastete. Danach wurde kurzerhand das Messer von der Mitte des Damms her von unten in Richtung Blase gestoßen, bis die Messerspitze die Rille der Sonde fand und auf dieser Rille weiter bis in die Blase schnitt. Der Schnitt durch den Damm wurde anschließend mit einem speziellen Gerät auseinandergedrückt und der Stein herausgeholt. Ein Drittel der Patienten starb an den Folgen des Eingriffs. Die übrigen konnten von Glück sagen, wenn der Harn wieder floss, wobei anstelle der durch die Operation häufig zerstörten Harnröhre der Schnitt als Abflussöffnung diente, was in aller Regel mit der Bildung scheußlich stinkender Fisteln einherging.
Der seitlich geführte Stich ließ dagegen die Harnröhre mit weitaus größerer Sicherheit unverletzt, eine Urinentleerung war nach erfolgreicher Operation auf normalem Wege möglich.
Silvano hatte sich höchst fasziniert gezeigt, als Celestina ihm davon erzählt hatte, und die Möglichkeit, es öffentlich vor den Studenten zu demonstrieren, war von ihm sofort zum unverrückbaren Ziel erklärt worden.
»Messères, heute soll Euch von einem jungen Chirurgen aus Mantua eine neue Operationsmethode demonstriert werden«, sagte Silvano, einen winzigen Ton von Genugtuung in der Stimme. »Neu insofern, als sie im Gegensatz zur allseits bekannten Vorgehensweise Rücksicht auf die Anatomie des menschlichen Körpers nimmt.« Er formte eine Faust und hielt sie hoch. »Stellt Euch vor, dies sei die menschliche Blase beim Manne. Und dies hier der Schließmuskel der Harnröhre.« Mit zwei Fingern deutete er deren Lage an, dann griff er sich ein Messer vom Tisch und führte es an der fraglichen Stelle zwischen die geschlossenen Finger der Faust. »Seht Ihr, das war die herkömmliche Methode, die Blase zu öffnen. Meist wurde dabei die Harnröhre zerfetzt, nur in seltenen Fällen und mehr aus Zufall denn aus Berechnung gelang es vorbeizustechen. Mit der Sectio lateralis hingegen gelingt es, die Harnröhre zu schonen, sodass sie weiter für den ungestörten Abfluss des Urins zur Verfügung steht. Sehr sinnreich und einfach im Grunde, und doch muss man erst darauf kommen. Ihr seht also, wozu die Wissenschaft der Anatomie taugen kann.« Lächelnd führte er das Messer seitlich in die imaginäre Blase ein.
Nicht alle Studenten bekundeten Interesse an seinen Erklärungen. Unter angehenden Medizinern galten Operationen, zumal blutige wie diese, als niederes Handwerk.
»Wer ist dieser Chirurg, von dem Ihr spracht, und wann ist mit seinem Erscheinen zu rechnen?«, fragte der Professor.
»Nun, Ihr seht ihn hier bereits vor Euch. Sein Name ist Marino da Rapallo. Gebürtig zu Venedig, verbrachte er einige Jahre in Mantua, als Lehrling seines Schwagers, des tüchtigen Medicus Jacopo Ruzzini, der ihn mit diversen Operationen vertraut machte. Unter anderem mit dem Steinschnitt.«
Professor Fabrizio ließ einen erstaunten Laut hören. »Ruzzini bin ich einmal begegnet. Er galt als hervorragender Arzt! Und dies ist sein Schwager?«
Celestina nickte. Sie wagte einen vorsichtigen Blick in Richtung der Studenten und des Professors. Letzterer strich sich über den Bart und musterte sie abwägend. »Sehr jung für einen Chirurgen.«
»Er wird bald achtzehn, da hat mancher Chirurg schon ausgelernt.«
»Wohl wahr.« Professor
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