Das Mädchen aus Mantua
gar nicht hier sein dürfen. Sie hatte sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen eingeschlichen, und es war nicht unbemerkt geblieben. Je nachdem, wie Timoteo sich dieses Wissen zunutze machen würde, säße sie vielleicht in ein paar Stunden schon hinter Kerkermauern.
Er zog sie in eine Ecke der Loggia und schirmte sie mit seinem breiten Rücken von den vorbeiströmenden Studenten ab.
»Nun?« Mehr nicht, nur dieses eine Wort. Seine Stimme war leise, aber eindringlich. Seine Miene war unergründlich. Celestina, die sich sonst zugute hielt, alle nur erdenklichen Regungen aus dem Gesichtsausdruck eines Menschen herauslesen zu können, wusste beim besten Willen nicht, was ihm durch den Kopf ging.
Seine Frage hingegen war deutlich genug, er wollte eine Erklärung hören.
Um Zeit zu gewinnen, tat sie so, als wisse sie nicht, worauf er hinauswollte.
»Nun was?«, fragte sie zurück. Die Knie zitterten ihr vor Aufregung und Furcht, und auch ihre Stimme kam nur als nervöses Piepsen heraus.
»Erklär mir, was das alles soll – Celestina.«
»Das weißt du doch schon, denn ich habe es dir bereits erzählt.« Verzweifelt blickte sie zu ihm hoch. »Ich will Arzt werden!«
»Du meinst wohl Ärztin .«
Besorgt spähte sie über seine Schulter. »Kannst du bitte aufpassen, was du sagst?«
»Ich denke nicht dran. Und wenn du nicht sofort damit herausrückst, was dich zu diesem Spielchen treibt, könnte ich auf die Idee kommen, den Pedell zu rufen.« Er betrachtete sie aufmerksam. »Wärst du lieber ein Mann geworden? Fühlst du dich gefangen in deinem Frauenkörper?«
»Wie kommst du darauf?« Sie wurde ärgerlich. »Ich bin gern eine Frau. Aber ebenso gern will ich Arzt sein. Und ich will mich nicht damit abfinden, dass das eine nur ohne das andere geht. Es sind allein die Männer, die sich anmaßen, eine ganze Hälfte der Menschheit für dümmer zu halten als die andere. Selbstverständlich unter der Prämisse, dass sie selbst sich zur klügeren Hälfte zählen.«
»Dass diese Prämisse zutrifft, lässt sich doch daran erkennen, dass es so ist, wie es ist! Wären die Frauen die Klügeren, würden sie auch studieren, oder nicht?«
Sie schnaubte verächtlich. »Was für ein Unfug! Es ist, wie es ist, weil Männer mehr rohe Muskelkraft haben als Frauen und so in der Lage sind, sie zu schlagen, einzuschüchtern und zu unterdrücken. Allein damit untermauern sie die Behauptung, dass Frauen weniger Verstand hätten.«
»Aber in der Bibel steht, dass das Weib dem Manne untertan …«
Sie fiel ihm ins Wort. »Steht vielleicht auch in der Bibel, dass Frauen dämlicher sind als Männer? Alle Frauen könnten schreiben, lesen und rechnen, wenn man sie nur ließe. Oder wie erklärst du dir, dass ich es kann? Sogar meine reizende Cousine Chiara, die ich ansonsten für eher hohlköpfig halte, beherrscht das Lesen einwandfrei. Sie spricht perfekt Französisch und könnte, wenn es sich ergäbe, jede andere Fremdsprache erlernen, müheloser als jeder Mann, denn sie hat eine Begabung dafür. Natürlich hat sie alles Schulwissen gemeinsam mit ihrem Bruder erworben, denn für sie allein wäre gewiss kein Lehrer ins Haus gekommen, schließlich ist sie nur ein Mädchen. Und doch war sie in allem dem guten Guido voraus, obwohl er länger Unterricht hatte.«
»Dass jede beliebige Frau schlauer ist als dieser goldlockige Geck, muss niemanden verwundern!«, versetzte Timoteo verächtlich.
»Ich nannte Chiara nur als Beispiel. Wir könnten auch mich nehmen, denn meine Bildung ist um einiges umfassender als die meiner Cousine. Vom Französischen beherrsche ich nur ein paar Brocken, aber dafür übersetze ich Texte aus dem Griechischen ebenso gut wie aus dem Lateinischen. Außerdem bin ich imstande, Gleichungen mit zwei Unbekannten auszurechnen. Meine nützlichste Fähigkeit ist jedoch die, alles, was ich je lese, in meinem Gedächtnis zu verankern. Vor allem, wenn es sich um medizinische Texte handelt. Gib mir eine medizinische Schrift zum Lesen, und ich wiederhole dir noch Wochen oder Monate später, was drinsteht. Aber ich vermute, dass du daran kein Interesse hast. Weil du ja zur klügeren Hälfte der Menschheit gehörst.«
Er starrte sie an, als habe er in eine Zitrone gebissen. Ihm war anzusehen, dass dieses Gespräch einen Verlauf nahm, der ihm missfiel. Betreten machte sie sich klar, welchen Fehler sie beging. Statt sich, wie es der Situation angemessen gewesen wäre, reumütig und bußfertig zu verhalten, setzte sie ihm mit
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