Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
stürzte sich auf Bruder Amadeo. »Du bist hier der Abschaum! Geh nach Rom zurück, Mönch! Geh zurück zu deinem Herrn! Der da hat uns Abschaum genannt! Dem werden wir es zeigen!«
Angesichts der bedrohlichen Lage klammerte sich der Mönch an Zolfo fest, den Mercurio und Benedetta wegzogen.
»Verschwinde, verdammter Mönch!«, schrie Mercurio, als er sah, dass die Betrunkenen hinter ihnen herkamen.
Auf der Straße zwischen ihnen und der Kirche, in die Mercurio eigentlich flüchten wollte, tauchte plötzlich der elegant gekleidete junge Mann auf, den er schon vorhin bemerkt hatte, und beobachtete das Geschehen mit grausamem Vergnügen. Er stand starr mit dem rechten Bein auf der ersten Stufe, die rechte Hand hatte er in die weite Tasche seines Überrocks gesteckt, sodass fast der gesamte Arm im Stoff verschwand. Seine linke Schulter war deutlich kräftiger, und auch der Dolch steckte auf der linken Seite im Gürtel, was darauf schließen ließ, dass er Linkshänder war.
Mercurio wurde langsamer. Er schaute hinter sich. Die Betrunkenen würden sie bald eingeholt haben, und nun wurde ihnen der Rückzug von dem jungen Mann und seinen Gefährten versperrt. »Verschwinde!«, schrie ihn Mercurio an.
Der elegante Kerl grinste. Seine weißen, spitzen Zähne erinnerten Mercurio an das Maul eines Raubfisches. Auch die Augen, die so weit auseinanderstanden, dass sie fast wie künstlich seitlich eingesetzt schienen, hatten dieselbe ausdruckslose, grausame Starrheit wie die der Räuber der Meere. Vielleicht, so schoss es Mercurio durch den Kopf, als er kurz innehielt, wirkten sie so grausam und eiskalt, eben weil sie vollkommen ausdruckslos waren.
Plötzlich bewegte sich der junge Mann. Er war flink und gleichzeitig plump wie ein Krebs. Seine linke Hand schnellte zu dem Dolch und riss ihn aus dem mit Gold und wertvollen Edelsteinen üppig geschmückten Gürtel. Die rechte Hand glitt aus der Tasche, und der junge Mann wedelte damit haltsuchend durch die Luft. Der Arm war zu kurz geraten und die Hand verkrüppelt, aber er brauchte sie auch nur, um das Gleichgewicht zu halten, denn das rechte Bein, das auf den ersten Blick ganz normal ausgesehen hatte, war in Wirklichkeit ebenfalls deutlich kürzer als das andere und auch nicht so stark entwickelt. Außerdem ließ es sich anscheinend nicht ganz durchstrecken. Mit dem Dolch in der Hand drehte er sich kurz zu seinen Gefährten um, die ohne zu zögern ihre Waffen zückten und sie einkreisten. Ihr Anführer humpelte los, und nun wurde auch noch ein Buckel auf der linken Schulter sichtbar. Er war eine einzige Missgeburt.
Mercurio erstarrte, als der junge Mann sich auf ihn zu stürzen drohte. Doch er humpelte nur hastig an ihm vorbei, sodass Mercurio, Benedetta, Zolfo und der Mönch von seinem kleinen Heer geschützt wurden.
»Hört sofort auf, ihr Idioten!«, schleuderte der junge Bucklige den Zechkumpanen entgegen. Seine Stimme klang schrill und unangenehm.
Ein Betrunkener lief in ihn hinein, da er nicht rechtzeitig anhalten konnte.
Der Edelmann stieß mit seinem zweischneidigen Dolch nach ihm. Die Klinge glitt auf Höhe der Schulter durch den Ärmel der schweren Jacke, und der Stoff verfärbte sich augenblicklich blutrot.
Der Zecher stöhnte vor Schmerz auf und sackte zu Boden.
»Los, hebt ihn auf«, sagte der junge Mann, und aus seiner Stimme klang tiefe Verachtung.
»Verzeiht, Euer Gnaden«, sagte die Frau, die als Erste den Prediger verhöhnt hatte. »Wir haben Euch nicht gesehen. Habt die Großmut, uns zu verzeihen, Euer Gnaden.« Sie verbeugte sich tief, und ohne die Spitze des Dolches aus den Augen zu lassen, streckte sie sich, um ihren Saufkumpan vom Boden aufzulesen. Mit einer Kraft, die man ihr gar nicht zugetraut hätte, zog sie ihn rückwärts außer Reichweite der Waffe. »Mein Mann ist doch harmlos«, fuhr sie fort und half dem Verletzten beim Aufstehen. »Wir hätten schon keinem was getan, weder dem Mönch noch dem Jungen.«
»Ja, wir haben doch bloß Spaß gemacht«, versicherten die anderen Säufer im Chor.
Der Bucklige wandte sich an Bruder Amadeo. »Was hast du von ihnen verlangt, Mönch?«
»Dass sie die Juden aus Venedig verjagen«, erwiderte Bruder Amadeo, der nun wieder neuen Mut schöpfte, nachdem er schon alle Hoffnung hatte fahren lassen.
»Wir sind bereit, zu Märtyrern zu werden!«, rief Zolfo.
»Sei doch still, du Dummkopf!«, fuhr Mercurio ihn an.
Der junge Mann lachte. »Dein Freund hat recht. Märtyrer durch die Hand von vier Säufern?
Weitere Kostenlose Bücher