Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
Ercole gemacht hat«, sagte Zolfo und spuckte aus.
»Drehlade, Drehlade«, wiederholte Ercole lachend.
»Sei still, du Dummkopf.«
»Nein, meine Mutter hätte mich niemals ausgesetzt. Sie gab mich in die Obhut einer Frau und zahlte ihr Geld, damit sie mich aufzog. Aber diese Frau setzte mich dann an der Drehlade des Waisenhauses von San Michele Arcangelo aus und behielt das Geld für sich.«
»Dieses Miststück!«
»Ja, und dann wurde meine Mutter krank und starb. Der Leiter der Schauspieltruppe fand mich und übergab mir ihren Besitz, also diese Kostüme … von allen Rollen, die sie jemals gespielt hatte. Er erzählte mir ihre Geschichte, und er sagte mir, sie wäre die beste Schauspielerin seiner ganzen Truppe gewesen und dass sie …«
»… dich immer geliebt hat?«, fragte Zolfo, während seine Augen hoffnungsvoll und zugleich neidisch blitzten.
»Genauso war es.«
»Wie hat der Mann dich denn gefunden? Woher wusste der überhaupt, dass du es bist?«, mischte sich Benedetta ins Gespräch.
»Das ist eine komplizierte Geschichte«, wehrte Mercurio rasch ab. »Und jetzt wollen wir uns mit dem Wirt beschäftigen. Wasch dir Hände und Gesicht«, wies er Benedetta an. »Dort im Eimer findest du Wasser.«
»Ich denk ja nicht daran, mich zu waschen«, fuhr Benedetta auf.
»Wasch dich«, wiederholte Mercurio.
»Warum das denn?«
»Weil es zu meinem Plan gehört.«
»Welcher Plan?«
»Wasch dich, dann wirst du schon sehen.« Er nahm das grüne Kleid eines Mädchens aus gutem Hause vom Haken. »Das müsste dir passen«, sagte er und hielt es ihr hin.
»Hu, ist das kalt«, beschwerte sich Benedetta und wusch sich mit zwei Fingern die Augen.
»Du musst sauber aussehen«, erklärte ihr Mercurio. »Nun hab dich nicht so.«
»Ich hasse es, mich zu waschen«, erwiderte Benedetta schmollend.
»Ich versichere dir, das riecht man«, entgegnete Mercurio lachend.
Benedetta warf ihm einen vernichtenden Blick zu, dann versenkte sie beide Hände im Wasser und rieb sich wütend das Gesicht.
»Gut, und jetzt zieh dich um«, befahl Mercurio, nachdem er überprüft hatte, dass auch ihre Nägel sauber waren.
»Wo?«, fragte Benedetta.
Mercurio sah sie überrascht an. »Was meinst du damit?«
»Glaubst du etwa, ich ziehe mich vor dir nackt aus?«
»Na ja, ich habe keinen anderen Raum, du weißt doch, wie es ist.«
»Dreht euch um und wagt ja nicht, mich anzuglotzen«, befahl ihnen Benedetta. Man hörte Kleider rascheln, und schließlich sagte sie: »Ich bin fertig.«
Zolfo und Ercole starrten sie mit offenen Mündern an. »Du siehst wunderschön aus«, sagte Zolfo. Und Ercole sprach ihm nach: »Ercole findet auch, du bischt wunderschön.«
Benedetta errötete sichtlich. »Ihr seid beide Schwachköpfe«, sagte sie und sah Mercurio an.
»Jetzt raus mit euch«, drängte Mercurio ohne weiteren Kommentar. »Ich komme gleich nach und erkläre euch den Plan.«
Eine knappe halbe Stunde später waren sie auf dem Weg.
Während sie entschlossenen Schrittes losmarschierten, schloss Benedetta zu Mercurio auf. »Welche Rolle hat sie in diesem Kleid gespielt?«
»Wer?«
»Deine Mutter.«
»Ach so … Sie spielte … eine Herzogin.«
»Eine Herzogin?«, fragte Benedetta und fuhr kichernd mit einer Hand über das Gewand. Dann lief sie mit stolzgeschwellter Brust noch etwas weiter, ehe sie hinzufügte: »Also … tut mir leid wegen gestern Abend.«
»Wovon redest du?«
»Ich habe das nicht ernst gemeint … also, als ich gesagt habe, du solltest in deinem eigenen Dreck ersaufen … Ich wusste ja nicht …«
»Schon gut.«
Benedetta legte ihm eine Hand auf die Schulter.
Mercurio rückte ab. »Ich will keine Freunde.«
»Meinst du etwa, ich?«, erwiderte Benedetta. Dann betrachtete sie ihn noch einmal eingehend. »Du siehst wirklich wie ein echter Priester aus«, sagte sie und lachte.
Mercurio grinste zufrieden. Er trug einen langen Talar mit roten Knöpfen, auf dem in Brusthöhe ein blutendes Herz mit einer Dornenkrone eingestickt war. Auf seinem Kopf saß ein glänzender schwarzer Hut. »Es ist noch nicht perfekt«, sagte er dann nachdenklich. Er ging zu zwei Eseln hinüber, nahm sich eine großzügige Hand voll Heu aus ihrer Krippe, knüllte es zusammen und steckte sich die Kugel unter den Talar vor den Bauch. »Priester essen im Gegensatz zu uns dreimal am Tag, morgens, mittags und abends. Deswegen sind sie alle fett.« Und als er an einem Obststand vorbeikam, stahl er im Vorübergehen einen Apfel, schnitt zwei
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