Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
und dann kam für sie keiner mehr infrage, nur noch so ein … Na ja, du weißt ja, was ich für einer bin.«
»Vater«, sagte Giuditta leise und näherte sich ihm gerührt.
Isacco wehrte sie mit einer brüsken Bewegung ab. »Du wirst ihn nicht wiedersehen oder ihn weiter treffen, so viel steht fest«, sagte er entschieden. »Du wirst ihn dir aus dem Kopf schlagen.«
Giuditta setzte sich und kauerte still mit gebeugtem Rücken und im Schoß gefalteten Händen auf ihrem Stuhl. »Ich vermisse meine Großmutter …«, sagte sie schließlich leise.
Isacco starrte sie erstaunt an. »Was hat das jetzt hiermit zu tun?«, fragte er sie.
»Ich würde sie gern fragen, warum mir das, was ich fühle, solche Angst macht …«, flüsterte Giuditta. Sie sah zu ihrem Vater hoch, um dann jedoch sofort wieder den Kopf zu senken. »Ihr könnte ich mich anvertrauen, sie würde mich in den Arm nehmen, und ich würde mich geborgen fühlen …«
Isacco hatte das Gefühl, ihm würde der Boden unter den Füßen weggezogen. Er sah sich um, als stünde jemand hinter ihm, dem er das Ganze übergeben könnte. Dann schnaubte er noch einmal, doch nicht aus Wut, sondern eher aus Hilflosigkeit. Stumm wedelte er mit den Händen vor seinem erhitzten Gesicht, um sich etwas abzukühlen. Dann stand er langsam auf, trat hinter Giuditta, ging in die Knie und umarmte sie unbeholfen in dieser unbequemen Haltung. So verharrte er eine Weile mit weit geöffneten Augen. »Ich bin wohl einfach nicht der Richtige dafür«, sagte er dann etwas zu laut. »Schon gar nicht, wenn es um Mercurio geht.«
Giuditta gestattete sich ein kleines Lächeln. »Darf ich dich nicht einmal fragen, was Liebe ist?« Sie machte Anstalten, sich zu ihm umzudrehen.
Isacco hielt sie zurück. »Nein, ganz bestimmt nicht!«, rief er erschrocken aus.
»Darf ich nicht einmal erfahren, was du gefühlt hast, als du meine Mutter zum ersten Mal gesehen hast?«
Isacco wich abrupt zurück. »Du willst mich reinlegen«, brüllte er. »Verdammt noch mal, du willst mich reinlegen!« Er stand auf und lief erregt im Raum auf und ab. Dann wandte er sich wieder Giuditta zu und sah sie halsstarrig an. »Dieser Junge ist nichts für dich. Basta.«
»Warum?«
»Du fragst mich, warum ein Dieb und Betrüger nichts für dich ist?«, fragte Isacco und breitete die Arme aus. »Die Antwort liegt doch auf der Hand. Weil er ein Dieb und Betrüger ist.«
Giuditta sah ihn schweigend an. Dann nickte sie und ließ den Kopf hängen. »Du hast recht«, sagte sie.
»Natürlich habe ich recht«, antwortete Isacco. Aber er war noch immer auf der Hut und musterte seine Tochter misstrauisch. Er spürte, dass etwas nicht stimmte, dass sie viel zu schnell nachgegeben hatte.
»Wenn wir Kinder hätten, was für ein Vater könnte ein Dieb und Betrüger schon sein?«, sagte Giuditta flüsternd, als würde sie laut überlegen. »Nein, du hast recht. Wie sollte ein Dieb und ein Betrüger ein guter Vater sein?«
»Du … meinst also, ich …? Weil ich auch ein …« Isacco stampfte zornig mit dem Fuß auf. »Weiber! Euch hat der Teufel höchstpersönlich geschaffen! Schluss jetzt mit dem Geschwätz, du hast mich schon verstanden. Ich bin ich, und er ist er. Wir sind nicht gleich.«
Giuditta lächelte in sich hinein. Ihr Vater würde seine Meinung schon noch ändern. Gestern Abend war sie in der sicheren Überzeugung zu Bett gegangen, ihr könnte nie mehr etwas Schlimmes zustoßen im Leben. Nicht nach dem, was sie mit Mercurio erlebt hatte. Schon vor langer Zeit hatte das Schicksal ihnen ein Versprechen gegeben, doch an jenem Abend hatten sie es sich selbst gegeben. Und da hatte sich Giuditta gesagt, so dumm und grausam könnte das Leben einfach nicht sein, eine solche Begegnung in die Wege zu leiten und am Ende die Liebe nicht siegen zu lassen. Ihrer beider Schicksale waren dazu ausersehen, zu einem einzigen verflochten zu werden. Alles, was von nun an geschah, konnte sich nur zum Guten wenden.
Sie sah zu den vielen Hüten hinüber, die sie genäht hatte.
»Ich muss dir noch etwas erzählen …«, setzte sie an.
Doch Isacco hörte von San Marco her, wie das Läuten der Marangona-Glocke die Öffnung des Ghettos ankündigte, und hob abwehrend die Hand. »Solange es nichts mit diesem Gauner zu tun hat, hast du meinen Segen«, schnitt er ihr das Wort ab.
»Es geht um …«
»Ich habe jetzt keine Zeit«, sagte Isacco und warf sich den Umhang über die Schultern. »Die Krankheit breitet sich aus, und ich weiß nicht,
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