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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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spendeten so wenig Licht, dass man die Gesichtszüge der Menschen kaum erkennen konnte. In einer Ecke sah Giuditta einen Betrunkenen gegen die Wand pinkeln, ohne dass irgendjemand dagegen protestierte. Während sie hinter ihrem Vater herging, sah sie mal hier einen blanken Busen aufblitzen oder dort ein Hinterteil unter einem gerafften Rock. Obszöne Sprüche, dreckiges Gelächter, Stöhnen und Flüche schwirrten durch den Raum. Hier sieht es aus wie im Vorzimmer zur Hölle, dachte Giuditta voller Unbehagen. Sie blieb ruckartig stehen, als sie beobachtete, wie eine Frauenhand sich unter den Überrock ihres Vaters schob und durch den Stoff der Hose sein Glied betastete. »Du hast aber einen schönen Großen, mein Schatz«, gurrte eine raue Stimme wie ein Wiegenlied. Dann tauchte aus dem Dunkeln ein mit Bleiweiß geschminktes Frauengesicht auf, Wangen und Lippen leuchteten purpurrot daraus hervor. »Ich lutsch ihn dir für ein Viertel Roten und einen alten Soldo. So wie ich hat dich noch keine geküsst.« Die Frau führte eine Lampe vor ihren Mund, lächelte und ließ so einen völlig zahnlosen Mund mit rötlich entzündetem Zahnfleisch erkennen. Giuditta schrie erschrocken auf und wich zurück. Die Frau wurde wieder vom Halbdunkel des Raumes aufgesaugt, und man hörte nur noch ihr raues Gelächter, in das gleich darauf ein Betrunkener einstimmte.
    »Hier kann meine Tochter nicht bleiben. Wohin hast du uns bloß geführt?«, fragte Isacco Donnola aufgebracht.
    »Ich habe es Euch doch gesagt, Doktor«, erwiderte Donnola.
    »Dann hättest du dich eben deutlicher ausdrücken sollen!«, fuhr Isacco ihn an. »Du wartest auf jeden Fall draußen auf mich«, sagte er zu Giuditta, während er sie schleunigst zum Eingang des Gasthauses zerrte. »Ich bin gleich wieder da. Bleib hier stehen und sprich mit niemandem.« Er betrachtete Giuditta. Sie war ganz blass geworden. »Donnola ist ein Trottel, und du bist eine Landplage«, grummelte er. Dann stellte er sich in die Tür. »Hauptmann Lanzafame!«, rief er.
    Für einen Augenblick wurde es ganz still in der Kaschemme, dann brach das Stimmengewirr wieder los. Aus der Dunkelheit tauchte eine stattliche Gestalt auf. »Ach, du bist es«, sagte Lanzafame mit weinseliger Zunge. Sein Hemd hing aus der Hose und stand über der Brust weit offen. Im schwachen Licht, das von der Gasse hereindrang, schimmerten seine Narben violett.
    Hinter ihnen erschien nun auch Donnola. »Ihr hattet nach uns geschickt, Hauptmann.«
    Lanzafame nickte. »Gehen wir nach draußen.«
    Im Freien musterte Isacco den Hauptmann. Ein entfernter Ausdruck von Schmerz lag auf seinem Gesicht.
    »Wag es nicht, mich zu verurteilen, Jude«, sagte der Hauptmann bitter und richtete den Finger auf ihn.
    Isacco sah zur Schenke hinüber und zuckte nur mit den Achseln. Er hatte schon Dutzende solcher Orte gesehen und auch viele Stunden seines Lebens darin zugebracht. Und er kannte Männer, die wie Hauptmann Lanzafame ihren Kummer in Wein ertränkten. Er selbst war so ein Mann gewesen. »Es interessiert mich nicht, was Ihr treibt.«
    Lanzafame seufzte. Dann sagte er sehr ernst: »Ich will es Euch aber erzählen. Und deiner Tochter. Ich tue dies, weil jeder, der im Krieg gewesen ist, seine Seele verloren hat. Er hat sie dem Teufel verkauft, wird von Gewissensbissen gequält und muss sich bis ans Ende seiner Tage im Dreck suhlen, um für die Sünden zu büßen, die er begangen hat.« Lanzafame starrte Isacco an. Und dann Giuditta. Schließlich lachte er dröhnend auf. »Genau solchen Mist willst du doch von mir hören, Jude, oder?«
    »Hört auf, mich Jude zu nennen«, sagte Isacco.
    Hauptmann Lanzafame nickte kurz, ohne etwas zu erwidern. »Ich brauche deine Kunst«, sagte er dann. »Jemandem … geht es ziemlich dreckig.« Er legte ihm eine Hand auf die Schulter, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Sein Atem stank nach gewürztem Wein. Der Griff um Isaccos Schulter wurde fester. »Wenn du sie umbringst, dann bringe ich dich um … Doktor.« Er schaute ihn an. Seine Augen waren von der Trunkenheit getrübt. »Und du kannst es mir nicht abschlagen. Das ist die andere Bedingung«, fuhr der Hauptmann fort und lachte noch einmal bitter auf. Dann lief er mit dem schwankenden Schritt eines Betrunkenen los, ohne sich nach den anderen umzuwenden. »Gehen wir!«
    In der Ruga dei Speziali, der Straße, in der sämtliche Gewürzhändler Venedigs zu finden waren, betraten sie durch eine schäbige, abgeblätterte Tür ein Wohnhaus und gingen

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