Das Mädchen, die goldene Uhr und der ganze Rest
aufmerksam gemacht, daß sie sich unmittelbar nach seinem Tod in großen Schwierigkeiten befinden würden? Onkel Omar hatte bestimmt vorausgesehen, was geschehen würde.
Es schien sich um einen Test zu handeln, aber Kirby fehlte noch der Durchblick.
Zum ersten Mal untersuchte er die Uhr sorgfältig. Die verschnörkelten Initialen OLK auf der Rückseite waren abgenutzt. Neben der Aufziehwelle befand sich ein Schnappverschluß, mit dem man die Rückseite öffnen konnte. Er zögerte, drückte dann doch den Daumennagel auf den Verschluß und der Deckel sprang auf. Drinnen befand sich ein zweites Gehäuse aus glattem, grauem Metall, das nicht zu öffnen war. Auf der Innenseite des goldenen Deckels war noch etwas eingraviert, ebenso verschnörkelt wie die Initialen, aber noch deutlicher lesbar. Mühsam übersetzte er die lateinischen Worte. »Die Zeit wartet auf einen Mann.« Es klang typisch nach Omar Krepps' leicht zynischem Humor. Kirby schloß das Gehäuse und dachte zum ersten Mal über die Energiequelle nach. Die Verzerrung von Raum, Zeit und Kraft kam wahrscheinlich durch einen enormen Energieaufwand zustande. Die altmodisch bauchige Uhr war anscheinend fest verschlossen. Die Verzerrung der Zeit konnte bestimmt nicht durch mechanische Mittel allein erreicht werden. Er hielt die Uhr ans Ohr, und wieder glaubte er, einen gedämpften, melodischen Ton zu hören, hoch und klar, wie Wind, der in der Ferne in Hochspannungsdrähten singt. Ob sich die Energie einmal erschöpfte? Funktionierte sie vielleicht nur für eine gewisse Zeitspanne oder nicht beliebig oft? Der Brief würde ihm wahrscheinlich darüber Aufschluß geben.
Was wäre gewesen, wenn Wintermore mit dem zusätzlichen Zeiger herumgespielt hätte?
Er war wütend auf seinen Onkel. Es war unbegreiflich, daß Omar so vieles dem Zufall überlassen hatte.
Was kam als nächstes? Wenn er die Uhr richtig und vorsichtig einsetzte und alles sorgfältig plante, könnte er das Problem der diversen kriminal- und zivilrechtlichen Vergehen bereinigen. Aber er mußte es unauffällig anstellen, denn das öffentliche Interesse durfte nicht geschürt, sondern mußte beruhigt werden. Onkel Omar hatte gewußt, daß Berühmtheit ihm das Leben unmöglich machen würde. Verrückte, Ungeheuer, Wahnsinnige, Gauner, Fanatiker und Reporter hätten ihn bis an das Ende der Welt verfolgt.
Der Start war schlecht gewesen. Er hatte zugelassen, daß die Uhr in Bonny Lees Hände geriet; damit hatte er unbeabsichtigt gegen das mit dem Besitz der Uhr verbundene Vertrauen und die Verantwortung verstoßen. Der Uhr mußte man den gleichen Ernst und Respekt entgegenbringen wie einer Kobaltbombe und sie mit der gleichen Vorsicht behandeln. Viermal hatte er versucht, Onkel Omars Kontrolle zu entkommen und ein normales, durchschnittliches Leben mit bescheidenen Zielen und Freuden zu führen. Diese Chance war jetzt vorüber, es sei denn, er lehnte die Verantwortung ab, zerschlug die Uhr oder warf sie ins Meer. Diese Entscheidung war möglich, aber er konnte sie erst treffen, nachdem er sich von seinen Sorgen befreit und seine Anonymität wiedergewonnen hatte.
Wieder blieben ihm noch fünf Minuten. Sein Blick fiel auf Bonny Lee, und ihn überkam ein leidenschaftliches Verlangen nach ihr. Kirby fühlte sich wie elektrisiert, aber gleichzeitig erfüllte ihn gelassene Ruhe und ermutigende Zuversicht. Vergangenes Jahr in Rom hatte er eine Frau namens Andy ebenso heftig begehrt, aber dieses Verlangen hatte ihn nicht glücklich gemacht. Und weil er sich so erbärmlich gefühlt hatte, bekam sexuelles Begehren einen falschen Stellenwert für ihn; er nahm es zu wichtig. Jetzt hatte er etwas Neues entdeckt. Frustration führte dazu, daß Sex überbewertet wurde, daß er die Bühne beherrschte und alle Stichworte lieferte. Durch diese Fehlbewertung waren alle anderen Aspekte seines Lebens verkümmert. Das befreiende Erlebnis hatte Sex auf den rechten Platz gerückt. Seine Bedeutung war geschrumpft und die Stichworte kamen von allen Richtungen - das Spiel ging weiter, wurde aber nicht mehr von Sex dominiert, es blieb dramatisch, blieb aber mit der Realität verbunden und entbehrte auch nicht komödiantischer Züge.
Ich war wie ein Mann ohne Beine, der zusah, wie die ganze Welt ging und lief und kletterte, dachte er. Meine Beinlosigkeit wirkte sich auf meine Reaktionen aus. Ich habe so getan, als hätte ich Beine, damit es keiner bemerkt. Jetzt habe ich Beine, und das Gehen macht mir Freude, aber die Beine sind
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