Das Mädchen in den Wellen
Ihr Blick fiel auf ihr eigenes Handy, das auf dem Tisch lag. Ella schien Malcolm damit eine SMS geschickt zu haben.
»Und dich.«
Vielleicht meinte er es ernst, vielleicht auch nicht. Manchmal war das schwer zu beurteilen.
»Tatsächlich? Warum?«
»Nor …« Ihr Kosename. Sein Blick wurde weicher, und seine tief liegenden blauen Augen nahmen genau den Ausdruck an, den sie vor all den Jahren so anziehend gefunden hatte. Ein Ausdruck, der ihr das Gefühl gegeben hatte, sie sei der einzige Mensch im Raum, von dem sie geglaubt hatte, er sei ausschließlich für sie bestimmt. Möglicherweise war das eine Weile tatsächlich der Fall gewesen, doch im Lauf der Ehe hatte er mit diesem charmanten Blick immer wieder andere Menschen umworben, Kollegen, Wähler, Kellnerinnen.
»Wie lange willst du bleiben?«, fragte sie.
»Ich habe ein paar Tage frei.«
Erstaunlich.
»Du hast eine Bleibe im Ort?«
»Ich dachte …« Er sah sich im Cottage um, orientierte sich, wie viele Zimmer es hatte.
»Du möchtest hierbleiben?« Sie lachte ungläubig. »Ganz schön dreist, sogar für dich.«
»Burke’s Island ist nicht unbedingt der Nabel der touristischen Welt.«
Das stimmte – genau das war der Punkt.
»Ich habe überlegt, was das Beste wäre«, fuhr er fort.
»Für wen?«
Er streckte die Hand über den Tisch hinweg nach ihr aus.
Sie behielt ihre Hände im Schoß.
»Du hast mir gefehlt«, sagte er. »Die Mädchen haben mir gefehlt.«
»Ach.«
»Meinst du, unser gemeinsames Leben bedeutet mir nichts?«
»Den Eindruck macht es zumindest.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich kann mich nicht einfach von dir trennen. Und ich will es auch nicht.«
»Du hast eine merkwürdige Art, das zu zeigen.«
»Trotzdem bemühe ich mich.«
»Nicht ich habe dich kontaktiert«, sagte sie. Es hatte Zeiten gegeben, in denen sie zahllose unbeantwortete Nachrichten auf seinem Anrufbeantworter hinterließ, bis sie schließlich an jenem Abend im Frühjahr in ihrer Frustration das Telefon gegen die Wand geschleudert hatte. »Was ist los?«, hatte Ella gefragt. »Es ist kaputtgegangen«, hatte Nora geantwortet, die Stücke zusammengekehrt und weggeworfen. Das Klappern des Metalldeckels am Mülleimer war ihr ziemlich endgültig vorgekommen.
»Verstehe.« Wie zerknirscht er war, wie aufmerksam, jetzt, da sie sich von ihm gelöst oder das zumindest versucht hatte.
Sie schürzte die Lippen. Ausnahmsweise war sie am Zug. Sie bemerkte, wie die Mädchen sie durchs Fenster beobachteten, die doch nicht zum Strand gegangen, sondern geblieben waren, um ja nichts zu versäumen. »Du kannst auf der Couch schlafen«, sagte sie schließlich. »Ihretwegen, nicht deinetwegen.«
»Ich nehme, was ich kriege«, sagte er.
»Das tust du immer.«
Die Mädchen führten ihn an den Händen zum Ruderboot, ihr Vater zwischen ihnen wie eine Trophäe. Sie gingen über die Wildblumenwiese, die Klippe hinunter, bis ihre Füße in den Sand sanken. Nora folgte ihnen, beobachtete, wie die Mädchen über den Strand hüpften, der dunkler war, wo die Wellen ihn erreichten. Ein Schwarm Sturmtaucher flatterte, von ihnen aufgeschreckt, hektisch kreischend zur Landspitze. Die Mädchen schlugen mit den Armen und kreischten ihrerseits, um die Aufmerksamkeit ihres Vaters buhlend.
»Schau dir unser Boot an! Daddy, schau!«
»Euer Boot? Hat das hier auf euch gewartet?«
»Ja.«
Jeder Satz, mit einem Ausrufezeichen versehen, versetzte Nora, die abseits von ihnen stand, einen Stich.
»Komm«, forderte Ella Malcolm auf und sah Nora mit trotzigem Blick an. Im Boot war nicht genug Platz für sie alle. Seit Malcolms Auftauchen waren die Spannungen zwischen Ella und Nora stärker geworden, weil Nora ihre Tochter ermahnt hatte, sie zu fragen, bevor sie das Handy benutzte.
Malcolm hob eine Augenbraue.
Nora legte den Kopf ein wenig schief. Geh mit. Sollten die drei doch ihren Spaß haben.
Annie zögerte, bevor sie ins Boot stieg. Nora versuchte nicht, sie daran zu hindern. Sie interessierte nur die Sicherheit ihrer Töchter, und nun war ja Malcolm bei ihnen. Er saß kerzengerade im Boot, wieder einmal Mittelpunkt des Geschehens. Nora war froh, dass Ella sie nicht gebeten hatte, sich zu ihnen zu gesellen, weil der bloße Anblick des Boots sie auf rätselhafte Weise mit Furcht erfüllte. Sie setzte sich auf ein Stück Treibholz, während sie durch die Bucht ruderten. Die Mädchen jauchzten, als Malcolm zu singen begann. » Seemann McNee stach in See mit seinem Boot Fiddle Dee Dee.« »Fiddle
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