Das Maedchen mit dem Stahlkorsett
»Sie werden mich doch nicht verpetzen, oder?«
Ihr Versuch, sein Geplänkel zu erwidern, schien ihn eher zu amüsieren als zu verlocken. »Was woll’n Sie von mir?«, fragte er. Auf dem roten Samt erinnerte er an einen bleichen, für nächtliche Streifzüge herausgeputzten Vampir. Mit gespreizten Beinen lehnte er sich zurück, als könne ihn nichts auf der Welt erschüttern. Seine Stiefel waren ebenso makellos poliert wie die des reichen Knaben. »Krieg hier nich’ grad viele Mädchen wie Sie zu sehen.«
Sie schnaubte. »Das kann ich mir lebhaft vorstellen.« Es gab überhaupt keine anderen Mädchen wie sie.
Dandy saß ruhig da, betrachtete sie, trank einen Schluck und wartete ab.
»Ich habe eine Botschaft für Felix August-Raynes«, sagte sie, um endlich zur Sache zu kommen. »Er ist doch einer der Ihren, oder?«
»Einer der meinen?«
Sie wedelte geringschätzig mit einer Hand und nahm noch einen Schluck von dem angenehmen Absinth. »Einer Ihrer Anhänger, Lakaien oder Jünger.«
Er zog die dunklen Augenbrauen hoch und grinste breit. »Jünger. Das gefällt mir, Schätzchen. Ehrlich, das gefällt mir.« Dann runzelte er plötzlich nachdenklich die Stirn. »Allerdings glaub ich, Ihre Informationen sind nich’ ganz zutreffend. So viel Macht hab ich über niemand nich’. Hab bloß ein paar Bekannte, das ist alles.«
Offensichtlich hatte er diesen Vortrag schon oft gehalten, um sich von den kriminellen Aktivitäten seiner Kumpane zu distanzieren. Finley verdrehte die Augen. »Kennen Sie Lord Felix nun oder nicht?«
Er warf ihr einen kurzen Blick zu und ließ sie zappeln, während er sich seine Antwort überlegte. Ein weiterer Schluck aus seinem Glas verschaffte ihm noch etwas mehr Zeit. Hingerissen sah sie ihm zu. »Den kenn ich.«
Finley rückte nach vorn, bis sie fast auf der Kante des Sofas saß, nahm sich zusammen und blickte ihm tief in die Augen, ohne zu blinzeln. »Dann richten Sie ihm doch bitte aus, dass ich ihn töten werde, wenn er jemals wieder versucht, ein Mädchen mit Gewalt zu nehmen.«
Sie war sicher, dass Dandy nicht oft so überrascht dreinschaute wie jetzt. Allerdings tat er es nicht aus dem Grund, an den sie gedacht hatte. Ihre Androhung von Gewalt kümmerte ihn überhaupt nicht.
»Hat er es etwa bei Ihnen mit Gewalt versucht?« Seine Stimme war seltsam ruhig, und sogar der Zungenschlag der Gosse war verschwunden.
»Ja.«
Seine Miene veränderte sich, als hätten sich dunkle Gewitterwolken vor die Sonne geschoben. In diesem Moment erkannte sie die gefährliche Seite von Jack Dandy und fand sie ebenso prachtvoll wie entsetzlich. Deshalb hängten sich reiche Schnösel wie Lord Felix an ihn: Sie wollten ein wenig von dieser Gefahr kosten. Nur, dass Dandy seine Macht mit niemandem teilte.
So plötzlich, wie die Finsternis gekommen war, verschwand sie auch wieder. Hätte es sich nicht ihrem Gedächtnis eingebrannt, sie hätte schwören können, es sei nie passiert.
»Ich geb die Botschaft gern weiter, wenn ich Seine Lordschaft sehe.«
»Danke.« Sie trank noch einen Schluck Absinth. Sie mochte ihn, würde ihn aber gewiss nicht in großen Mengen zu sich nehmen. »Dann will ich mich jetzt empfehlen.«
Er versuchte nicht, sie zurückzuhalten, sondern stand mit fließenden Bewegungen auf und folgte ihr zur Tür.
»Vielen Dank, dass Sie mich empfangen haben, Mister Dandy.« Sie wünschte, sie könnte dabei sein, wenn Lord Felix das nächste Mal auftauchte und ihre Botschaft zu hören bekam. Wahrscheinlich würde er einem Gehirnschlag erliegen.
»Meine Tür steht Ihnen immer offen.« Seine Stimme klang bei Weitem nicht mehr so jovial wie zuvor. »Sie wissen ja, wie Sie mich finden.«
Finley zog die Augenbrauen hoch. Die plötzliche Ernsthaftigkeit behagte ihr überhaupt nicht. Sie hatte sich gerade an seine unbekümmerte Art gewöhnt, und dieser neue Ton war ein wenig zu aufrichtig. »Das klingt ja fast, als wollten Sie mir Ihre Freundschaft anbieten.«
Jack Dandy berührte sanft ihre Wange. »Verstehen Sie mich nicht falsch, Schätzchen. Ich kann Ihnen vieles bieten, aber Freundschaft gehört nicht dazu. Und jetzt seien Sie bitte ein vernünftiges Mädchen und laufen Sie weg.«
Überraschenderweise gehorchte Finley ihm aufs Wort.
Als seine Tante Cordelia eintraf, hatte Griff schon einen grässlichen Morgen hinter sich. Zuerst war er mehrere Stunden vor der Dämmerung erwacht, als ein Velo in die Einfahrt gefahren war. Finley. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass sie weggefahren
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