Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht
wird, dass Ihr dort wart?«
»Ich werde dafür sorgen!«, versprach sein Neffe.
Der Herzog d’Aumale schien nachzudenken. »Hat dich sonst noch irgendjemand dort gesehen?«, fragte er dann.
Henri zögerte. »Nein … das heißt doch«, widersprach er sich selbst. »Da war so ein Zwerg!«
Der Herzog und der Kardinal tauschten einen kurzen Blick.
82
M it angespannter Miene betrachtete die Medici die Pläne vor sich, doch es gelang ihr nicht, die unschönen Bilder des Krieges vor ihrem geistigen Auge zu vertreiben. Vor ihr ausgebreitet lagen die Zeichnungen des zukünftigen Palais der Tuilerien. Ein Schloss der Renaissance, wie sie es sich erträumte. Einstweilen war davon allerdings noch nicht besonders viel zu sehen – nicht einmal der Rohbau des Palais war fertig, das gegenüber dem Louvre auf dem Gebiet der früheren Ziegelei entstand. Die Königinmutter unterdrückte ein Seufzen und dachte wieder einmal, dass die Schwierigkeit des Herrschens nicht die war, Macht auszuüben, sondern die, seine visionäre Kraft zu behalten. Das betraf die Architektur genauso wie die Politik und die Menschen. Bei dem Gedanken an Letzteres wandte sie sich wieder dem Geheimdienstchef zu, der hinter ihr stand.
»Ehrlich gesagt bin ich mir unschlüssig, was mit Madeleine Kolb geschehen soll«, beantwortete sie seine Frage. »Ich muss zugeben, dass ich mich in ihr getäuscht habe.« Ihr Blick glitt bedauernd in die Ferne. »Seit dem Tod von Nostradamus hatte ich immer wieder gehofft, dass mir noch einmal jemand begegnen würde, der der Zukunft so nahe ist, wie er es war. Die junge Frau schien mir ein Geschenk zu sein. Aber sie verfügt nicht über die Fähigkeiten, die ich brauche!«, gab sie zu.
Lebrun nickte zufrieden, als hätte er gehofft, diese Antwort zu hören. »Ich verstehe. Das wollte ich nur wissen! … Haben Euer Majestät Zeit gefunden, um meinen Bericht über den Admiral und den Prinzen zu lesen?«, wechselte er dann das Thema.
Die Medici nickte. »Ja.« Sie deutete zu einem Tisch, auf dem das Dossier lag, das der Geheimdienstchef ihr bereits am frühen Morgen, noch vor der Ratssitzung, gebracht hatte. »Habe ich Euch dahingehend richtig verstanden, dass Ihr es tatsächlich für möglich haltet, dass Coligny und Condé den König gar nicht entführen wollten?«, fragte sie ungläubig und ein wenig erstaunt zugleich.
»Ja, es gibt, wie ich in den Papieren erwähnt habe, eine anonyme Quelle, die uns die Information zukommen ließ, dass Coligny den König ursprünglich lediglich von seinen friedlichen Absichten überzeugen wollte und beabsichtigte, einen Beweis für die Zusammenarbeit des Kardinals de Lorraine mit dem spanischen König vorzulegen.«
Die Königinmutter ging einige Schritte durch den Raum. Sie fragte sich, wie die Hugenotten wohl in den Besitz eines solchen Beweisstücks gekommen waren. Leider konnte es tatsächlich der Wahrheit entsprechen. Sie verzog abfällig den Mund. Sie selbst wusste schließlich schon seit geraumer Zeit, dass der Kardinal de Lorraine hinter ihrem Rücken ein Bündnis mit Philipp II. eingegangen war. Normalerweise hätte sie das nicht sonderlich beunruhigt, von einer Schlange wie ihm war nichts anderes zu erwar ten. Doch unglücklicherweise hatte er in den letzten Wochen einen zunehmenden Einfluss auf ihren Sohn, den König, gewonnen. Sie unterdrückte ihren Unmut. Sie liebte Charles, dennoch sah sie schon lange, dass ihm die Stärke fehlte, die ein König brauchte. Es war nur allzu leicht, ihn durch Schmeicheleien zu beeinflussen. Ein Umstand, den leider auch der Kardinal erkannt und für sich zu nutzen gewusst hatte.
Sie wandte sich wieder dem Geheimdienstchef zu.
»Warum hat der Admiral nicht einfach um eine Audienz gebeten, wenn er nur mit dem König sprechen wollte?«
Lebrun neigte höflich den Kopf. »Nun, es gab, wie Ihr wisst, leider gewisse Gerüchte, dass man seinen Tod und Condés Verhaftung befohlen hätte.«
Die Medici schnaubte. »Das rechtfertigt dennoch sein Verhalten nicht! Das, was er vorhatte – diese Entführung –, bleibt doch ein Angriff auf die Person des Königs!« Ihr Mund war zu einem schmalen Strich geworden.
»Ohne Zweifel«, stimmte Lebrun ihr zu. »Aber aus Sicht des Admirals war es demnach die einzige Möglichkeit, unversehrt mit Seiner Majestät ins Gespräch zu kommen … Und unter uns, bleibt es nicht eine Tatsache, dass dieser Krieg vor allem den Guise nützt?«
Die Königinmutter sah ihn durchdringend an. Wie immer begriff sie sofort,
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