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Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Titel: Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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Nacht auf ihrem Pferd frösteln.
    Neben dem Admiral und seinen Kindern befanden sich Colignys Bruder, François d’Andelot, mit seiner Frau und Kindern, der Prinz de Condé und seine Gemahlin und Ronsard und Nicolas bei ihnen. Ein ganzes Regiment bewaffneter Soldaten und diverse Leute, die zum Gefolge gehörten, reisten mit ihnen. Unglücklicherweise zählte auch Monsieur Bruno zu Letzteren, wie Madeleine bestürzt festgestellt hatte.
    Ihr Blick glitt an den dunklen Umrissen der Bäume entlang, die genau wie der Boden zu ihren Füßen nur schemenhaft zu erkennen waren. Ihr Pferd schien das nicht zu stören. Das spärliche Mondlicht schien Apollo genug Helligkeit zu spenden, um sich sicher vorwärtszubewegen. Um sich herum hörte sie den gedämpften Hufschlag der anderen Pferde und gelegentlich einzelne gesenkte Stimmen. Sie alle waren angehalten, sich so leise wie möglich zu verhalten.
    Das helle Weinen eines Kleinkindes durchbrach die Stille, und man konnte die leisen beschwichtigenden Worte einer Frau hören, die auf das Kleine einredete, das schließlich zur Erleichterung aller wieder verstummte. Man hatte den Kindern erklärt, dass man einen ungewöhnlichen und aufregenden Ausflug in der Nacht machen würde, um ihre Ängste nicht unnötig zu schüren, aber Madeleine war sich gewiss, dass zumindest die Älteren vermuteten, was wirklich los war. Sie wandte den Kopf zu dem Pferd vor sich, auf dem Colignys älteste Tochter, die zwölfjährige Louise, saß. Madeleine hatte das verstörte Gesicht des Mädchens gesehen, als es im Hof auf sein Pferd gestiegen war. Aufrecht und mit starrer Miene saß sie nun im Sattel, bemüht, sich nichts anmerken zu lassen.
    Ein Anflug von Mitgefühl ergriff Madeleine. Erst vor wenigen Monaten hatten Louise und ihre Geschwister die Mutter verloren – und nun befanden sich die Kinder auf der Flucht. Genau wie sie selbst. Es war etwas beängstigend Alltägliches geworden zu fliehen, doch war heute etwas anders als sonst. Sie war nicht allein, sondern zusammen mit anderen Menschen.
    »Bist du müde?« Die gesenkte Stimme war fast lautlos zu ihr gedrungen, und sie sah, dass Nicolas neben ihr ritt.
    »Nur ein wenig«, erwiderte sie leise.
    Er nickte und blieb an ihrer Seite.
    Es war Nicolas nicht schwergefallen, den Admiral und Condé davon zu überzeugen, Noyers zu verlassen, denn nur kurz nach Madeleines Warnung hatten sie zusätzlich von einem Boten erfahren, dass nicht nur im Norden, sondern auch im Süden weitere Truppenbewegungen der Katholiken gesichtet worden waren. Nie zuvor war die Situation so ernst gewesen. Das ganze Land schien in Bewegung, um sie einzukesseln und an der Flucht zu hindern.
    »Warum La Rochelle?«, hatte Madeleine Nicolas kurz vor ihrem Aufbruch gefragt.
    Die Stadt sei fest in protestantischer Hand. Sie biete vom Land aus große Sicherheit, könne im Notfall aber auch über den Seeweg von England aus versorgt werden, hatte er ihr erklärt. Nicht nur der Admiral und der Prinz de Condé, sondern auch etliche andere hugenottische Edelleute machten sich zu dieser Stunde auf den Weg dorthin.
    Kurz bevor der Morgen graute, legten sie endlich eine kurze Rast ein. Erschöpft ließ sich Madeleine zwischen den anderen Frauen und Kindern auf ihrem Umhang nieder, als sie neben sich in der Dunkelheit eine bebende Gestalt spürte. Es war Louise, Colignys Tochter, die leise weinte. Madeleine legte den Arm um sie. »Du brauchst keine Angst zu haben. Wir werden sicher nach La Rochelle kommen. Vertrau mir«, flüsterte sie. Aus den Augen der Kleinen rannen Tränen, und sie schaute sie wortlos an. Dann nickte sie und legte den Kopf an ihren Arm. Das stumme Schluchzen ließ langsam nach. In diesem Moment bemerkte Madeleine in der Dunkelheit vor einem Baum eine aufrecht stehende Gestalt, die zu ihnen herübersah – es war der Admiral. Sie hätte nicht sagen können, wie lange er dort schon stand. Er neigte kaum wahrnehmbar den Kopf in ihre Richtung, bevor er sich leise wieder entfernte.
    Man ließ ihnen kaum mehr als eine Stunde Schlaf, dann drängten die Anführer erneut zum Aufbruch. Heiß und blendend schien die Sonne an diesem Augusttag schon bald auf sie herab. Madeleine spürte, wie ihr der Schweiß vom Nacken und den Achselhöhlen den Körper hinunterlief, während sich der Zug langsam seinen Weg vorwärtskämpfte.
    Der gefährlichste Teil ihrer Reise stand ihnen noch bevor – sie mussten die Loire überqueren. Gegen Mittag legten sie erneut eine Rast ein. Man hatte

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