Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht
und er die Mätresse ihres verstorbenen Gemahls, Diane de Poitiers, hofiert hatte, als wäre sie die eigentliche Königin – und auch dafür, dass er später versucht hatte, ihr den Sohn zu entfremden, um seine eigene Macht zu vergrößern. Doch im Moment war nicht der richtige Zeitpunkt für Rache. Unglücklicherweise brauchte sie ihn – genauso wie sie Coligny brauchte, dachte sie, als sie wenig später die Sitzung des Rats beendet hatte. Schon seit Langem war sie zu dem Schluss gekommen, dass man dieses Land weder ohne Katholiken noch ohne Protestanten regieren konnte. Nicht unbedingt der Toleranz wegen, obwohl die in ihren Augen durchaus ein hübsches Beiwerk war, sondern aus rein machtstrategischen Gründen. Eine Übermacht des katho lischen Lagers wäre für den König genauso gefährlich gewesen wie eine Übermacht der Protestanten. Ihre Schritte hallten auf den Steinfliesen des breiten Flurs wider. Vor ihr öffneten zwei Wachen mit einer tiefen Verbeugung eine doppelte Flügeltür, und sie betrat ihre Gemächer.
Fôlle, ihre Zwergin, kam ihr im Kostüm einer Närrin in Ha remshosen und mit Schellen entgegen. Doch die Medici war nicht in der Stimmung, sich zerstreuen zu lassen. Sie ließ sich von ihren Kammerfrauen den Umhang abnehmen. »Lasst mir etwas gewürzten Wein bringen!«, befahl sie, während sie durch das Anti chambre weiter in ein holzgetäfeltes Gemach trat, das ein weißer, von zwei Säulen eingerahmter Kamin dominierte. Die Fassade des Abzugs schmückte ein üppiges Relief von Figuren und Ornamenten, die in ihrer Mitte ein goldgerahmtes Gemälde umrankten. Einen Moment spürte die Medici die Versuchung, sich einfach in einen der Lehnstühle vor dem Kamin sinken zu lassen und einige Minuten der Ruhe zu genießen, doch sie hatte etliche Dokumente und Berichte durchzuarbeiten. Die Entscheidungen, die sie in diesen Tagen zu treffen hatte, wogen schwer.
»Euer Majestät?«
Sie drehte sich zu ihrer ersten Kammerfrau herum.
»Monsieur Lebrun bittet darum, vorgelassen zu werden. Er sagt, es sei dringend«, fügte sie hinzu.
Catherine de Medici nickte. Sie hatte ihn ohnehin sprechen wollen.
18
D ie Kammerfrau hatte Lebrun durch einen Seiteneingang in einen Kabinettsraum geführt, der zu den Privatgemächern der Königinmutter gehörte. In allen ihren Schlössern befand sich einer dieser kleinen Räume, die mit doppelten Wänden versehen und in besonderer Weise gedämmt waren, damit nichts, was in ihnen besprochen wurde, von unliebsamen Zuhörern belauscht werden konnte.
»Ich nehme nicht an, dass es gute Nachrichten sind, die Ihr bringt, wenn Ihr so dringend um eine Unterredung ersucht«, sagte Catherine de Medici, die hinter ihm in die Tür getreten war.
Er verbeugte sich respektvoll, bevor er ihr sein Gesicht zuwandte, in dem die bläulichen Augenschatten noch eine Spur dunkler als gewöhnlich schienen. »Leider nicht, Euer Majestät!«
Sie deutete auf einen Stuhl, der vor einem verzierten Holztisch stand, um dann selbst auf der anderen Seite Platz zu nehmen. Die Anmut, mit der sie das trotz ihrer Leibesfülle tat, überraschte ihn. Fragend blickte sie ihn an.
»Ich habe heute die Nachricht bekommen, dass man Cavagnole gefunden hat – einen unserer besten Männer und Agenten. Er war seit letztem Frühjahr verschwunden …« Lebrun brach ab, bevor er nach einer kurzen Pause fortfuhr: »Er wurde getötet. Man hat seine Leiche oder besser gesagt das, was von ihr übrig geblieben ist, in den Wäldern von Moulins gefunden.«
»Cavagnole? Unser Mann, der auf den spanischen Botschafter hier, den Herzog d’Alava, angesetzt war?«, fragte sie ungläubig.
Lebrun nickte. »Ich habe ihn im März das letzte Mal gesehen. Er hegte damals den Verdacht, dass die Sorge der Spanier vor einer Übermacht der Protestanten in Frankreich so weit geht, dass sie einen Informanten bei den Hugenotten eingeschleust hätten – und das schon vor Jahren.« Lebrun zögerte. »Ehrlich gesagt, hielt ich das seinerzeit für abwegig. Jetzt allerdings …«
Er sah an ihrem Gesichtsausdruck, dass sie sofort abzuschätzen wusste, was es bedeutete, wenn dieser Verdacht der Wahrheit entsprach. »Könnten die Guise mit seinem Tod in Zusammenhang stehen?«
Er zögerte erneut. »Nun, wie Ihr wisst, pflegt der Kardinal de Lorraine seit geraumer Zeit einen engen Kontakt mit Philipp von Spanien.«
Sie nickte. »Ich habe die Auszüge aus den Briefen gelesen«, sagte sie und deutete auf eine Mappe, die neben ihr auf dem Tisch lag.
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