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Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Titel: Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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Spionen verfügte, mittels derer sie ihre Macht erhielt. Dieser Dienst wurde von einem Mann geleitet, so erzählte man sich, des sen wahre Identität kaum einer kannte und den man im Volksmund den Schatten der Medici nannte. Bisher hatte Margarète de Foix diese Geschichten für reine Phantastereien und die üblichen Übertreibungen gehalten, die sich schon immer um das Leben am Hof gerankt hatten, doch nun begriff sie, dass genau dieser Mann vor ihr saß.
    »Was wollt Ihr von mir?«, fragte sie ihn schließlich ohne Umschweife.
    »Auch wenn es Euch schwerfallen wird, mir zu glauben – wir möchten Euch helfen. Euch und dem Mädchen!«
    »Weshalb solltet Ihr oder die Königinmutter das tun?«
    Er lächelte leicht, denn er hatte ihren misstrauischen Unterton durchaus wahrgenommen.
    »Nun, abgesehen von der Dankbarkeit Ihrer Majestät, hegt die Königinmutter angesichts der ungewöhnlichen Fähigkeiten des Mädchens ein gewisses Interesse an Madeleine Kolb.«
    Die Äbtissin blickte ihn an. Darauf lief es also hinaus! Die Medici, die sich so gerne mit Wahrsagern und Astrologen umgab und eine Schwäche für die absonderlichsten Kuriositäten der menschlichen Natur hatte, interessierte sich für das Mädchen … Möge Gott verhüten, dass Madeleine ihr jemals in die Hände fällt, dachte sie bei sich. »Nun, ich würde Euch selbstverständlich gerne helfen«, wiederholte sie. »Aber wie Ihr ja selbst wisst, ist das Mädchen leider geflohen!«
    Er nickte und legte die Fingerspitzen gegeneinander. »Ja, überraschend genug, dass sie das ohne fremde Hilfe geschafft haben soll, nicht wahr?«
    Sie schenkte ihm einen kühlen Blick. »Ich verstehe noch immer nicht, worauf Ihr hinauswollt.«
    »Nein? Nun, Madeleines Mutter hat vor fünfzehn Jahren einige Monate in St. Angela verbracht und Euch kurz vor ihrem Tod noch einmal einen Besuch abgestattet. Daran erinnert Ihr Euch sicherlich?«
    Die Äbtissin wurde blass.
    »Eure Oberin ist eine Frau, die außerordentlich gerne redet«, meinte Lebrun jovial. Er ließ einen Moment verstreichen, bevor er weitersprach. »Meine Menschenkenntnis sagt mir, dass Ihr Euch für das Mädchen verantwortlich fühlt. Habt Ihr ihr einen Rat gegeben, wohin sie fliehen soll?«
    »Nein«, antwortete sie ehrlich und war abermals froh, dass sie Madeleine zu keiner Entscheidung hatte drängen müssen, sondern dass sie von ganz alleine gegangen war.
    Lebrun schüttelte nachsichtig den Kopf. »Tatsächlich? … Seht Ihr, ich habe mich gefragt, wohin Madeleine Kolb wohl flüchten würde«, sagte er. »Natürlich auf jeden Fall weg aus diesem Kloster und aus der Champagne, um dem langen Arm der Guise zu entkommen, die ihr diesen Zwischenfall wohl kaum verzeihen werden und sie, wenn sie die ganze Wahrheit erfahren, vermutlich der Hexerei anklagen werden. Ich würde daher denken, Made leine wird sich – da sie kaum eine andere Wahl hat – an die Huge notten wenden …« Er schaute sie fragend an.
    S ie schwieg verwirrt, musste ihm insgeheim jedoch recht geben. An des Mädchens Stelle hätte sie sich auch zu den Protestanten geflüchtet. Es war davon auszugehen, dass diese ihr Schutz boten, nachdem sie Coligny das Leben gerettet hatte.
    »Ich denke, Ihr stimmt mir zu«, erklärte Lebrun. »Nehmen wir also einmal weiter an, ihr gelingt die Flucht«, fuhr er fort. »Dann wird man ihr bei den Hugenotten sicherlich eine gewisse Dankbarkeit entgegenbringen, aber fragen wir uns doch einmal, wie man reagieren wird, wenn man dort von ihren besonderen Fähigkeiten erfährt. Zumal sie auch noch Katholikin ist.«
    »Warum sollte Madeleine mit irgendjemandem darüber sprechen?«, erwiderte sie kühl.
    »Die Protestanten sind nicht dumm, hochwürdige Mutter. Sie werden sich mit Madeleine unterhalten, weil sie sich, genau wie die Guise, fragen werden, wie und woher sie von dem geplanten Anschlag wissen konnte.« Er brach ab, nur um sich ihr dann noch einmal zuzuwenden. »Ihr habt nicht zufällig einmal die Schriften von Monsieur Calvin gelesen, oder?«, fragte er höflich.
    »Selbstverständlich nicht!«, erwiderte sie verächtlich.
    »Bedauerlich. Sonst wüsstet Ihr, dass der werte Herr in seinen Lehren selbst die Astrologie als blasphemisch und als ein Werk des Satans verurteilt!«
    Die Äbtissin schaute ihn betroffen an und begann mit einem Mal zu begreifen, worauf er hinauswollte.
    Lebrun lächelte kurz, als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte. »Ich sehe, Ihr versteht. Um also bei meiner Annahme zu bleiben – sollte

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