Das Maedchen mit den Schmetterlingen
junge Mutter die holperige zweistündige Fahrt nach Dublin auf sich, wobei der Bus unterwegs in allen möglichen Ortschaften und Dörfern anhielt. Ihre Wochenenden verliefen immer gleich. Sie gab Seán bei ihrer Freundin Brigid McCracken ab, bevor sie ans andere Ende der Stadt fuhr, um Jimmy zu besuchen. Ihr geliebtes Baby sollte sich unter keinen Umständen an der Tuberkulose anstecken. Dann saß sie am Bett ihres Bruders und erzählte von zu Hause. Dass ihr Vater den Hof ihrem Ehemann überschrieben hatte, erwähnte sie mit keinem Wort. Mauras Eltern hielten es für überflüssig, ihren Sohn damit zu belasten, da er Weihnachten aller Voraussicht nach nicht mehr erleben würde. Anschließend kehrte Maura zu ihrer Freundin Brigid zurück und übernachtete dort.
Was Maura ihren Eltern und im Übrigen auch ihrem Ehemann verschwieg, war, dass Brigid das kleine Häuschen zusammen mit ihrem Bruder Éamonn bewohnte. Nicht, dass sich Michael Byrne in irgendeiner Weise daran gestört hätte. Er verbrachte seine Samstage damit, das Geld, das das junge Paar erwirtschaftete, zu versaufen.
Samstagabends zog Brigid sich diskret zurück, und Maura
und Éamonn spielten glückliche Familie. Maura kochte das Abendessen, und Éamonn schäkerte mit seinem Sohn. Sie saßen beieinander und plauderten, als wären sie jeden Tag beisammen, und dann liebten sie sich in Éamonns Zimmer, während das Kind in seinem provisorischen Bettchen in einer Ecke des Zimmers tief und fest schlummerte. Am nächsten Morgen machten sie einen Spaziergang durch den Park St. Stephen’s Green, und Éamonn erzählte von der vergangenen Woche. Sie gingen nicht in die Kirche, da Éamonn der Überzeugung war, dass die Kirche genau so viel Schuld an der Armut der irischen Katholiken trug wie die britische Regierung. Und arm zu sein bedeutete Abhängigkeit. Maura sprach kaum über ihr eigenes Leben. Es gab auch nichts zu erzählen, zumindest nichts, was Éamonn hören wollte, aber sie konnte ihm stundenlang zuhören. Er machte Fortschritte im Studium und hatte bereits einen Nebenerwerb in einer Rechtanwaltskanzlei am Aaran Quay. Dort hoffte er auf eine volle Stelle nach dem Examen. In seiner Freizeit widmete er sich unermüdlich der Sache der Republikanischen Partei. Manchmal schrieb er sogar einen Artikel für den monatlichen Rundbrief seiner Ortsgruppe. Brigid brachte ein durchschnittliches Sekretärinnengehalt nach Hause und hatte nichts dagegen, ihrem Bruder finanziell unter die Arme zu greifen, da er der Partei mit Sicherheit viele neue Anhänger im Süden Irlands bescheren würde. Auch wenn sich ihre Begeisterung in Grenzen hielt, half sie doch, wo sie konnte, sammelte Spenden und nahm an politischen Versammlungen und Demonstrationen teil. Manchmal sah Éamonn aus, als sei er in eine Schlägerei geraten, was Maura immer in große Sorge versetzte, doch er lachte nur und behauptete, er sei bei irgendeiner Protestveranstaltung mit der Polizei aneinandergeraten.
Aber sie bemerkte auch eine Veränderung in Éamonns Wesen.
An manchen Wochenenden wirkte er sehr angespannt, und wenn sie ihn bedrängte, wurde er wütend und offenbarte einen aufbrausenden Zug, der ihr während ihrer Romanze in Árd Glen verborgen geblieben war. Sie versuchte, ihren Kummer zu verdrängen. Éamonn war ihr einziges Glück, und ihre gemeinsame Zeit war ohnehin so knapp, dass sie ihn nicht mit ihren Sorgen belasten wollte. Jeden Sonntagabend brachte er sie dann zur Bushaltestelle, und sie nahm den letzten Bus zurück nach Wicklow. Und jedes Mal versprach er ihr, dass sie eines Tages für immer zusammenbleiben würden. Eines Tages hätten sie ein eigenes Dach über dem Kopf und würden als Familie in Dublin leben. Maura wollte ihm glauben. Sie konnte die Vorstellung nicht ertragen, ihr ganzes Leben mit Michael Byrne zu verbringen, dessen einzige angenehme Eigenschaft darin bestand, dass er noch nie seine ehelichen Rechte eingefordert hatte, obwohl sie schon fast ein Jahr verheiratet waren. Jedes Mal, wenn Maura das Leben, das sie sich erträumte, hinter sich lassen musste und der Bus sie zurück in das Leben beförderte, das sie eigentlich hinter sich lassen wollte, nahm sie die Hand des Babys und winkte.
Kapitel 8
1971
T ess Byrne saß in Dr. Cosgroves Büro und fühlte sich unwohl. Es war bis oben hin mit Möbeln vollgestopft, und Zettel und Papiere hingen schief vom Schreibtisch herunter, was sie störte. Sie hätte die Sachen am liebsten zurechtgerückt und ordentlich
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